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Die Gummifinger der Ledertrutsche

■ Mehr Ohnmacht als Lust: Peter Löscher inszenierte Genets „Die Zofen“ auf Kampnagel

Claire ordnet im Dunkeln die Dinge. Im Salon von Madam. Sie trägt die Haare zum Zopf gebunden und Gummihandschuhe beim Wischen. Sie stellt auch den Wecker, denn sie hat zu tun und zuviel Phantasie, als daß sie die Zeit verpassen dürfte.

Wenn Madam gleich eintritt, wird sie ihr die Schuhe lecken und sich mit dem Ledergürtel peitschen lassen müssen.

Das Publikum auf Kampnagel verfolgte am Donnerstag abend 90 Minuten sadomasochistische Spielarten Jean Genets. Die Zofen behandeln auf Grundlage eines authentischen Falles den Mordversuch der beiden Schwestern Claire und Solange an ihrer Herrin.

Konspiration und Symbiose mischen sich bei ihnen mit Ohnmacht und Lust. In den Zeiten, in denen Madam nicht da ist, gehört der fein spärlich eingerichtete Salon und die große Garderobe ihnen. Dann schlüpft Solange in die Rolle und die Seidendessous von Madam und zelebriert mit Claire die Machtspiele, denen beide ausgesetzt sind. Macht als erotisches Moment auf die sadistische Spitze getrieben entlädt sich zwischen ihnen in stärkerer Erregung als in der realen Machtsituation mit ihrer Herrin, die sie an Ledergürteln auf allen Vieren den Boden lecken läßt. In ihrer Zweitwelt steigern sie sich dabei in eine Mordlust, die sie schließlich auch umzusetzen beschließen.

Anna Stieblich als Claire und Annette Uhlen als Solange verstehen sich auf die Kunst geiler Unterhaltung. Das Publikum reagierte recht unterschiedlich auf die heftigen Tritte in den Hintern mit langen Absätzen und die schuhleckende Claire, die auf Knien rutschend lüstern an den besudelten Gummifingern lutscht. Vom entnervten Stöhnen über Lachen bis hin zum Türenschlagen reichten die Reaktionen, deren Beweggründe wohl nicht nur in gelungener Provokation lagen. Sadomasochistische Lustphantasien basieren heute weniger auf konkreten Machtverhältnissen, die es zu entlarven gilt – wie zu den Zeiten, als Genet das Stück schrieb. Deshalb blieb trotz der hervorragenden Schauspielleistung der drei Frauen (Tanja von Oertzen als Madam) ein Unbehagen in der Umsetzung des Stoffes, den Peter Löscher inszenierte.

Die Videowand im Hintergrund des Salons zeigt neben dem Blick auf die Straße auch immer wieder Standbilder der Tortur im Salon. Damit ist der voyeuristische Blick zwar offenbart, die Inhalte jedoch nicht über den reinen Voyeurismus erklärt. Die Schaulust in die Abgründe der eigenen Seele wird zudem verstellt mit der Karikierung der Madam zu einer hyperaktiven Ledertrutsche. So vorbeigemogelt an der Machtgier, verliert der Inhalt neben Spannung auch die Provokation. Elsa Freese

Weitere Aufführungen: 13.,14. und 17.-20. Januar, 20 Uhr, k2

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