Die Grünen und die Dusch-Debatte: Arme und Arschlöcher

Es war Habeck, der die grüne Illusionserzählung beendete, persönlicher Verzicht werde die Erderhitzung stoppen. Und nun fordert er, kürzer zu duschen?

Illustration eines Duschkopfs

Sorgt vor allem für Ablenkungsdebatten: der Aufruf, kürzer zu duschen Foto: Illustration: Katja Gendikova

Ein emanzipatorischer Fortschritt der Grünen und der sie deshalb zunehmend wählenden neuen Mittelschicht in den letzten Jahren war die Überwindung des romantisch-illusionären Claudia-Roth-Zeugs („Das Private ist politisch“) und der darin steckenden, gruseligen Vorstellung der „besseren Menschen“. Diese Vorstellung findet ihre Erfüllung hauptsächlich im Markieren vermeintlich schlechter Menschen. Das ist ein harter Job, der von den ersten bundesdeutschen Wokies – also den 68ern – über die zweiten Wokies – die frühen und mittleren Grünen – nun auf die dritte Generation des erwachten Bewusstseins übergegangen ist.

Derweil konzentrieren sich die Grünen in den Ländern und seit letzten Dezember auch im Bund darauf, Politik zu machen, was mal mehr, mal weniger gelingt, aber jedenfalls auf das Gemeinsame zielt und mit politischen Instrumenten an der Verbesserung von Strukturen arbeitet. Der Hauptverantwortliche für den strategisch-kulturellen Wechsel ist der heutige Vizekanzler Robert Habeck, der schon vor Jahren jedem erzählte, der nicht rechtzeitig aus seiner Hörweite flüchtete, dass er abends noch schnell Milch bei Aldi hole, wenn sie fehle. Bessere Politik, nicht bessere Menschen, war der Slogan dieses Paradigmenwechsels.

Und darin eingewoben war auch das Ende der Illusionserzählung, persönlicher Verzicht der Einsichtigen werde die globale Erderhitzung stoppen. Und nun kommt ausgerechnet Habeck und fordert die Leute als Wirtschafts- und Klimaminister dazu auf, kürzer zu duschen und also zu „verzichten“? Daraus kann man schließen, wie weit der Minister in diesen Wochen weg ist von seinen großstrategischen Theorien und wie sehr ihn die Sorge um reale Gasknappheit und Energiesicherheit im Winter umtreibt. Mehr Effizienz ist zen­tral für die Transformation, und prioritär geht es beim kürzeren Duschen um Energiesparen und Geldsparen. Und dennoch: Richtig brillant ist das nicht von Habeck.

Die Verzicht-„Debatte“ ist eine Falle, etwas, was der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ein Metaframe nennt. Mit diesen Metaframes wird seit Jahren sozialökologische Politik verhindert, indem diese auf einer Metaebene als illegitime Erziehung und Freiheitsberaubung geframt wird. Aber auch die Fixierung auf die Ökonomie bei weitgehender Vernachlässigung der Ökologie ist ein konservatives Metaframe der deutschen Politik, Gesellschaft und Medien, das nebeneinander in zwei Variationen dominiert, einmal als „Wirtschaft“, einmal als „soziale Ungerechtigkeit“. Auch damit werden Denk- und Sprechmuster vorgegeben und gesetzt.

Zeitschleife der Mediengesellschaft

Wir hängen in einer Zeitschleife der Mediengesellschaft fest, womit Zukunftspolitik aus zwei Richtungen delegitimiert wird. Das eine ist der sogenannte Kubicki-Effekt. Leute werden angeblich vom Drang befallen, nun aber besonders lang zu duschen, besonders spritintensiv rumzubrettern oder einen Inlandsflug von Berlin nach Potsdam zu machen. Das sind entweder kulturell Dauerpubertierende, die das als Protest gegen die spießige Obrigkeit sehen wollen und als Freiheitskampf deklarieren. Oder populistische Liberaldemokraten ohne Klimapolitik-Programm.

Das ist intellektuell nicht satisfaktionsfähig, wird aber von uns Medien immer wieder hochgezogen, weil es Reichweite und Aufregung produziert. Auch die zweite Delegitimierungsstrategie ist seit vielen Jahren eingeübt. Während erstere liberalmoralisch daherkommt, ist zweitere linksmoralisch grundiert und wird daher gern mit den Worten „zynisch“ und „menschenverachtend“ serviert.

„Verzicht muss man sich leisten können“, das ist der zentrale Reflex dieser Denkschule, die völlig zu Recht davon ausgeht, dass manche sehr viel haben und andere zu wenig und dass das ein Kernproblem ist, das liberaldemokratische Politik lindern muss. Das stimmt. Ein Haushalt, der ­wenig hat, produziert kaum Emissionen, wird aber durch höhere Energiepreise an den Abgrund gebracht. Also muss er unterstützt werden. Das ist mit Blick auf den mutmaßlich schwierigen Winter eine zen­tra­le Politikaufgabe.

„Alleinerziehende Supermarktkassiererin“

Aber das Meta­frame funk­tio­niert so, dass klimapolitisch Engagierten ­elitäre Abgehobenheit vorgeworfen wird, weil sie angeblich wollen, dass Leute, die wenig haben, nun auch noch „verzichten“ sollen. Zwar sagt das fast niemand, aber so funktioniert nun mal Polemik. Der „kleine Mann“, die „alleinerziehende Supermarktkassiererin“ wird von anderen Interessengruppen bemüht, um sozialökologische Politik und Verschiebung von Geschäftsfeldern und Macht zu verhindern, und zwar von fast allen Parteien. Das ist manchmal unfreiwillig komisch, wenn etwa die FDP Gängelung beklagt, die sonst Arme gar nicht genug gängeln kann. Oft markiert es schlicht ein eingeübtes Gerechtigkeitssprechen.

Wir haben es hier mit einem Supermetaframe zu tun, dem Sozialdemokratismus. Das ist nicht gleichbedeutend mit Sozialdemokratie, sondern unsere bundesrepublikanische Kultur und die Grundlage der im weltweiten Vergleich sehr anständigen Sozialpolitik aller Bundesregierungen seit 1949. Der Stanford-Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht, der das Wort meines Wissens geprägt hat, sagt, dagegen sei im Grunde nichts zu sagen. Außer, dass es die Gesellschaft blind mache für Alternativen. Diese würden tendenziell als unethisch und neoliberal abgelehnt. Meine empirische Beobachtung ist, dass das gerade auch für ernsthafte Klimapolitik gilt.

„Mehr für alle“

Die bundesrepublikanische Sozialdemokratismuskultur hat mal ein Wahlslogan des Sozialdemokraten Ralf Stegner auf den Punkt gebracht. „Mehr für alle“, lautete dieser Slogan, und das schien viele Jahre in der fossilen Industriegesellschaft zu funktionieren, erst im global dominanten Westen, seit einiger Zeit auch in Teilen anderer Kontinente. Aber eben immer auf der Grundlage des die Zukunft zerstörenden Verfeuerns billiger fossiler Rohstoffe.

Der Sozialdemokratismus, ob nun von SPD oder Union exekutiert, kann ganz offensichtlich nicht mit der diversifizierten Problemlage und einer komplexen Transformation umgehen. Er kreist immer nur um die eine Sache, nämlich Arbeit, und seine Lösung ist die permanente Steigerung des Erwirtschafteten, um mehr verteilen zu können. („Umverteilung“ findet in Deutschland gerade auch bei der SPD allenfalls von unten nach oben statt.)

Oh, im Sozialdemokratismus kann man sehr gerne auf Erneuerbare umsteigen, auf Elektroautos, auf postfossile Wirtschaft – es müssen halt nur Strom, Sprit, Gas und Fleisch billig bleiben, die fossilen Arbeitsplätze erhalten werden, und vor allem darf kein Mensch auf irgendwas „verzichten“ müssen oder mit irgendwas behelligt werden.

Duschappelle nicht hilfreich

Um den erstarrten Sozialdemokratismus aufzubrechen, sind Duschappelle nicht hilfreich, weil die erstens die erwünschte Ablenkungsdiskussion provozieren und zweitens von fundamentalen politischen Instrumenten weg ins Private ziehen. Es geht nicht ums Duschen, auch nicht darum, einen Pullover im Wohnzimmer anzuziehen. Es geht darum, dort, wo wirklich viel verbraucht wird, strukturell zu transformieren. Es geht um neues Energiemanagement in Häusern, vor allem in großen Mietshäusern, Geschäftshäusern, Kaufhäusern. Es geht um ein schnelles Ende von Gasheizungen, es geht um ein Blitz-Energiesparprogramm für die deutsche Industrie. Es braucht ernsthafte Effi­zienz­po­li­tik als großen Rahmen.

Bestimmte Dinge müssen in der sozialökologischen Welt teurer werden, anders geht es nicht, aber Arme kostet das im Verhältnis mehr. Deshalb helfen sinkende Emissionen auch ökonomisch mehr als Spritgeld für alle. Es braucht qualitative Umverteilungspolitik, kluge Maßnahmen, mit denen Leute mit wenig Geld ihren steigenden Energiekosten begegnen – indem sie etwa mit bezuschussten Solarpaneln ihren Strom selbst produzieren können.

Das klingt illusorisch, aber es wird morgen normal sein. So kann man dann übrigens auch gern schön lang und heiß duschen. Die Besserverdienenden sparen derweil Sprit und Emissionen durch ein Tempolimit ein; eine sehr gerechte politische Maßnahme, die für alle gilt und allen hilft. Und dann braucht es vor allem ein politisches Programm für qualitatives Wachstum. Damit steht und fällt alles. Weil aber keine Partei so was hat, redet auch niemand darüber.

Zusätzlich können selbstverständlich auch die Haushalte, die willens und in der Lage sind, 15 bis 20 Prozent Energie einsparen, damit wir einigermaßen über den Winter kommen. Ich will aber kein besserer Mensch sein, weil ich mit einem besseren Duschkopf meinen Warmwasserduschverbrauch um 50 Prozent verbessern kann. Und wenn dann so ein Verhinderungsstratege sagt: Ja, aber andere können sich keinen neuen Duschkopf leisten, dann sage ich: Stimmt. Aber das ist kein Argument dafür, dass die Millionen Haushalte das und anderes nicht tun, die es können. Es geht in diesem konkreten Zusammenhang nicht um die Armen und nicht um die Arschlöcher (die ja immer die anderen sind). Es geht um uns. Priorität hat eine neue Politik.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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