: Die Grenzen der Methode
■ Neues aus der Industriezeit: Christine Mielitz inszeniert Puccinis "Il Tritico" ("Der Mantel", "Schwester Angelica", "Gianni Schicci") an der Komischen Oper
Wenn demonstrative Gesten nötig sind, steht es um die Sache wahrscheinlich schlecht. Der dienstlich verreiste Kultursenator Berlins hielt es für seine Pflicht, der Komischen Oper für ihre Premiere „von ferne beide Daumen zu drücken“, wie er schreibt. Sein Brief ist ein Alarmsignal. Drei Opernhäuser sind ein bißchen teuer für eine Stadt – für jede Stadt wären sie das, nicht nur für Berlin, wo der Finanzsenator auch nicht mehr Kunstverstand besitzt als anderswo. Die kleinste der drei staatlichen Musikbühnen, die Komische Oper eben, scheint ihm am ehesten entbehrlich, und seit ein paar Wochen hat das alte Gerücht neue Nahrung gefunden, sie solle nun doch geschlossen werden. Der Kultursenator hat für diesen Fall schon mal mit Rücktritt gedroht. „Mein Wort steht“, schreibt er den „sehr geehrten Damen und Herren“ des Ensembles; nur weiß niemand, wofür: Für den Rücktritt des Senators? Oder für die Zukunft der Komischen Oper?
Glanz kann so nicht erwartet werden. Darum kümmern sich die Deutsche und die Staatsoper, denen mit mehr Geld aber auch nichts recht gelingen will. Selbst eine Gwyneth Jones, die am Sonntag eine verstaubte Inszenierung der „Turandot“ an der Deutschen Oper aufwärmen sollte, bewies nur die Mühen des Repertoires. Um so mehr leuchtet ein, daß die Komische Oper darauf besteht, es dem Publikum und der Stadt ein bißchen schwer zu machen. Gerade mit Puccini. Das Haus hat das Erbe Walter Felsensteins und den Ruf Harry Kupfers zu verteidigen, es sucht nach Argumenten für seine Existenzberechtigung.
Gefunden hat es sie in den drei Einaktern, die als Puccinis letztes vollendetes Werk gelten. Selten werden sie aufgeführt, die Schwierigkeiten brachten schon den Komponisten zur Verzweiflung. Allein die Umbaupausen könnten für einen „sehr langen Opernabend“ sorgen, warnt auch Christine Mielitz, die das „Tritico“ zum zweiten Mal inszeniert hat. Offenbar reizt sie das Fragmentarische, das sich der Einheit eines Konsumartikels sperrt, die in diesem Haus grundsätzlich unter Ideologieverdacht steht. Wie für ihren Lehrer Harry Kupfer gilt auch für Christine Mielitz die Oper als ein Symptom gesellschaftlicher Zustände. Der massige Bug eines Lastkahns dräut in den Saal, die Stadtkulisse könnte New York sein (wohin der Meister gerne reiste) oder auch Ostberlin, wo wir sitzen: Sie liegt jedenfalls im Rußnebel des Industriezeitalters. Hier, unter Arbeitern, spielt „Der Mantel“, das Melodram der Frau zwischen zwei Männern, die beide gute Kerle sind. Und den bauernschlauen Gianni Schicchi, der die Erbschleicher betrügt, muß sich Puccini sogar im Mahagoni-Schlafzimmer gefallen lassen, das gut sein eigenes sein könnte.
Lehrreich ist das vor allem für die Grenzen der Methode, die hier am Werk ist. Ganz selbstverständlich klingt Puccinis subtile Kombination von ordinärem Klang und melodiöser Leidenschaft in Reinhard Zimmermanns naturalistischem Dekor des „Mantel“. Ein Instinkt für sozialen Realismus ist wohl nicht das schlechteste Erbstück der DDR-Oper. Die jungen Ensemblemitglieder Wicus Slabbert und Eszter Sümegi lassen mit Günter Neumann zusammen, dem Renommiertenor des Hauses, sogar vergessen, daß im Orchester schon jetzt vor allem Sparmaßnahmen zu hören sind. Brettelnd und rauh in dünner Streicherbesetzung kommt diese Musik daher. Es schadet ihr nicht, auch nicht dem Belcanto, der in dieser abgemagerten Form eine überraschend glaubwürdige Hoffnung auf das Glück kleiner Leute zum Klingen bringt.
Gianni Schicchi allerdings will uns im dekadenten Salon über die Unmoral der mutmaßlich kapitalistischen Welt aufklären. Das nimmt dem Schwank, den schon Puccini mit Foxtrott und überdrehtem Arienschmalz gewaltsam zur Farce hochstilisiert hat, den letzten Witz. Aber dann singt die junge Anna Korondi das Liebeslied, das nur aus Versehen in dieses Stück geriet, so hinreißend schön, daß man der Komischen Oper doch die Daumen drückt. Wo soll eine Korondi denn die Sängerin werden, die sie ist, wenn nicht hier? Applaus auf offener Bühne.
Verschlissen werden Stimmen ja genug, leider auch hier. Fionnuala McCarthy zum Beispiel, gebürtige Irin und in Südafrika aufgewachsen, schwindelt sich durch die Partie der Klosterschwester Angelica, obwohl ihr dazu zwar die lauten Höhen, nicht aber die mindestens ebenso wichtigen Mittellagen im Mezzoforte zur Verfügung stehen. Warum sagt ihr das niemand? Schrecklich viel Kunstwille ist auch sonst in diesem frommen Mittelteil des „Tritico“ zu sehen. Weiße Nonnen singen Kirchentonarten in einem weißen Kreuzgang, in der Mitte eine Anspielung auf die Pieta in der Neuen Wache, die freudig applaudiert wird. Nichts ist damit getroffen, am wenigsten Puccinis katholischer Altherrenschwulst, den natürlich auch Christine Mielitz nicht mag. Sie ignoriert ihn einfach und glaubt, das Drama einer ganz allgemein unglücklichen Frau inszenieren zu dürfen. Ohne passende Sängerin bleibt wenig übrig, kein Puccini, kein Problem. Zu hören ist aber immerhin, was fehlt, wenn eine Oper fehlt. Niklaus Hablützel
Giacomo Puccini: „Il Tritico“, Komische Oper Berlin; Regie: Christine Mielitz, musikalische Leitung: Mario Venzago. Nächste Vorstellung: 21.Januar
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