: Die „Grandons“ von Haiti lassen grüßen
■ Ende Juli wurde in dem karibischen Inselstaat ein Protestmarsch von Bauern überfallen, über hundert Personen wurden niedergemetzelt / Was zunächst als Konflikt zwischen Bauern erschien, entpuppt sich als Auseinandersetzung zwischen Großgrundbesitzern (“Grandons“) und der sozial engagierten kath. Kirche
Von Rita Neubauer
Port–au–Prince (taz) - Die drei jungen Männer im Hof der Pfarrei von Bassin Bleu, einem kleinen Ort im Nordwesten von Haiti, sind auf der Flucht. Sie verstecken sich, weil sie Verhaftung, Gefängnis und schlimmstenfalls den Tod fürchten. Sie stammen aus Jean Rabel, dem Ort, der vor drei Wochen blutige Schlagzeilen machte. Am 23. Juli wurde dort ein Marsch von rund 800 Bauern überfallen, über 100 Bauern mit Macheten, Knüppeln und Steinen niedergemetzelt. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten wurde nie festgestellt. Zu unwegsam ist die Gegend, zu ungenau die Aussage der Augenzeugen. Lange blieben auch die Motive des Massakers unklar. Ein Konflikt zwischen rivalisierenden Groß– und Kleinbauern, lautete zuerst die Antwort. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich führten eine Mischung aus Eifersucht und Haß, politischer Ränkeschmiede, Intrigen, Verleumdung und sozialer Misere zu der gewaltsamen Eskalation. Der Nährboden dafür liegt nicht, wie zu Anfang vermutet, in den Unruhen, die seit Juni den karibischen Inselstaat mit Terror überziehen, die Ursachen gehen bis weit in die Ära früherer Regierungen zurück. Armut und Hunger regieren die Region Jean Rabel. Die ansässigen Bauern leben hauptsächlich von der Herstellung von Holzkohle und betreiben ein wenig Landwirtschaft. Die Böden sind schlecht, ausgelaugt und von der ständig wachsenden Erosion bedroht, die wiederum Resultat der fortschreitenden Abholzung ist. Die wenigsten Bauern besitzen eigenes Land. Sie pachten es von Großgrundbesitzern, die in der Hauptstadt leben und für ein Hektar rund 40 Dollar im Jahr verlangen. Das ist viel Geld in einem Land, wo der Tagesverdienst eines Bauern ein paar Cents ausmacht. Dieses Land, ursprünglich Staatsland, hatten sich wenige Großgrundbesitzer unter den früheren Diktaturen Franois und Jean–Claude Duvaliers angeeignet. Auf Kosten des Staates, der ohne Kataster und Landpläne keine Kontrolle ausübte, auf Kosten der Kleinbauern, die gegen korrupte Beamte und die „Tontons Macoutes“, die paramilitärische Sicherheitstruppe Duvaliers, nicht ankamen. Nach dem Sturz Jean–Claude Duvaliers am 7. Februar 1986 zeigte sich, daß die Bauern durchaus gewillt waren, ihren Hunger nach eigenem Land zu stillen. Doch diese Bereitschaft, die Ausbeutung durch die „Grandons“, wie die Großgrundbesitzer heißen, nicht länger hinzunehmen, wuchs erst langsam. Denn diese sind oft nicht nur Landeigner, sondern auch die Besitzer der Lastwagen und diejenigen, die die Holzkohle für zwei Dollar pro Sack aufkaufen, nach Port–au–Prince schaffen und dort für den drei– und vierfachen Preis verkaufen. Jahrzehntelang fügten sich die Bauern in diese Lage, bis in den siebziger Jahren Laienmissionarinnen aus dem schweizerischen Fribourg die erste „Equipe Missionaire“, eine Art Missionssta tion, aufbauten. Sie gingen die Wasserprobleme an, bauten Zentren für Alphabetisierung und Gesundheitsvorsorge auf, berieten die Bauern in Hygiene, Landwirtschaft und Frauenfragen. „Wir zeigten den Haitianern, daß sie Menschen, nicht Sklaven sind“, erklärt die Schweizerin Paula Itten, die als erste in der Nordregion arbeitete. Die „Equipe Missionaire“ zog auch eigene Mitarbeiter heran, wie die drei jungen Männer in Bassin Bleu, die mit den Bauern als sogenannte „Animateure“ arbeiteten. Rückendeckung erhalten die Laienmissionare von der katholischen Kirche. Die Caritas finanzierte die Zentren ebenso wie Misereor oder das Schweizer „Fastenopfer“. Vor Ort unterstützen sie die „kleinen Kirchen“, wie die christlichen Basisgruppen heißen, die der „Theologie der Befreiung“ Lateinamerikas nahestehen. Die ersten Probleme tauchten 1985 auf, als ein neuer Geistlicher nach Jean Rabel versetzt wurde. Der Pfarrer Maurice Picard schlug scharfe Töne an und distanzierte sich deutlich von der Basisarbeit der „Equipe Missionaire“. „Wir sollten“, so Paula Itten bitter, „immer mehr an den Rand gedrängt werden.“ Diese Bemühungen gipfelten darin, daß Picard die Mitarbeiter kurz vor dem Überfall im Juli beschuldigte, im Dienst der Kommunisten zu stehen. So sahen es auch die Großgrundbesitzer. Als Antwort auf eine Demonstration Land fordernder Bauern im Mai 1986 ließen sie 15 Bauernhäuser niederbrennen. „Equipe Missionaire“ unterstützte daraufhin die Bauern in ihrer Forderung nach Gerechtigkeit und einen ganzen Tag verbrachte sogar einer der zwei größten Landeigner, Remy Lucas, im Gefängnis. Den Konflikt schürten aber auch Rivalitäten unter den Bewohnern selbst. Die Region gilt landesweit als Mekka für Schmuggel aller Art. Vor allem Reis aus Miami überschwemmt von dort aus das Land und zerstört die Preise für die heimische Produktion. Zusätzlich profitieren Händler von den Nahrungsmittellieferungen internationaler Hilfsorganisationen wie dem nordamerikanischen Care, die den gleichen Nebeneffekt haben. „Kein Haitianer kauft den eigenen Reis oder Mais, wenn ausländischer Reis nur die Hälfte kostet“, meint ein Mitarbeiter des Schweizer Hilfswerks „Helvetas“. Mit dem Aufbau von Kantinen, wo heimische Erzeugnisse aufgekauft und in Dürrezeiten an Kinder und Frauen verteilt wurden, goß „Equipe Missionaire“ weiteres Öl ins Feuer. Sie hatten daraufhin nicht nur Großgrundbesitzer, sondern plötzlich auch Händler und Bauern gegen sich. Erst recht als Care sein Pro gramm „Essen gegen Arbeit“ einstellte, von dem die Zwischenhändler profitiert hatten. Anfang Juli spitzte sich die Situation zu, nachdem kurz zuvor der Pfarrer von Jean Rabel seine Gemeinde aufgerufen hatte, mit den „Elementen fertigzuwerden, die sie nicht schätzen“ würden. Drei Equipe–Zentren, zehn Kantinen und 30 Bauernhäuser wurden zerstört, die betroffenen Bauern versteckten sich in der Umgebung. Zwei Wochen lang hätten sie versucht, so Paula Itten, mit der Gegenseite in Verhandlungen zu treten. Schließlich wurde für den 23. Juli ein Protestmarsch organisiert. Doch in den Bergen lauerten zwei verschiedene Trupps aus verfeindeten Bauern und gedungenen Mördern den Demonstranten auf. Nach dem Überfall machten Stimmen die Runde, daß zwei Großgrundbesitzer, Nikol Poitvien und Remy Lucas, für drei Dollar ehemalige „Tontons Macoutes“ angeheuert hätten. Statt diesen aber wurden reihenweise Mitarbeiter und Bauern von „Equipe Missionaire“ verhaftet. Um einer Festnahme zu entgehen, verließen viele Anhänger Jean Rabel, so auch die drei jungen Männer in Bassin Bleu. Das Ziel einer landesweiten Zerschlagung dieser christlichen Basisorganisation durch Terror und Verleumdung ist in der Region von Jean Rabel bereits erreicht. Die Aktivisten verstecken sich, die Bauern distanzieren sich zunehmend von „Equipe Missionaire“, die es für ausgeschlossen hält, ihre Arbeit unter diesen Bedingungen fortzusetzen. Paula Itten, deren Name inzwischen auch auf einer Liste von Leuten erschien, denen Ausweisung angedroht wird, befürchtet eine solche Entwicklung auch für andere Basisorganisationen: „Das war eine geplante Aktion, um die Leute zu spalten und einzuschüchtern. Ob wir dort weiterarbeiten können, hängt von der Regierung, von der nationalen Situation und den Großgrundbesitzern ab.“
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