: „Die Geschworenen“
■ Halbprofil-Theater spielt Reginald Rose
Was für eine furchtbare Hitze in diesem Gerichtssaal! Stöhnend betreten zehn Laienrichter die Bühne. Darauf ein Kreis von Zuschauern, in der Mitte der lange Tisch der Geschworenen. Warum hat der amerikanische Staat nicht daran gedacht, hier eine Klimaanlage einzurichten? Nur ein kleiner Ventilator steht auf einem Nebentisch und verursacht gleichmäßiges Surren. Bis ein einstimmiges Urteil gefunden ist, wird man eingesperrt sein. Auch für das Publikum keine Möglichkeit, sich zu entspannen; denn die Aula des Schulzentrums am Steinkamp ist voll beleuchtet - keine Trennung zu Ort und Personen der Handlung.
Die Geschworenen sind nicht freiwillig zusammengekommen; sie sind vom Staat bestimmt. An dem jungen Menschen, über dessen Leben oder Tod sie zu entscheiden haben, sind sie nicht interessiert. Sie wollen nur die lästige Aufgabe schnell hinter sich bringen, und das scheint nicht schwierig: Da der Junge aus einem „schlechten Milieu“ stammt, kann ihm der Mord an seinem Vater ohne weiteres zugetraut werden - also schuldig, kein Zweifel. Doch... einer, einer zweifelt! Er ist keineswegs von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, aber er hält auch dessen Schuld nicht für so sicher, daß er es wagt, ein für ihn endgültiges Urteil auszusprechen. Damit erntet er den Haß der übrigen; dennoch gelingt es ihm, die Beweise der Anklage so weit zu entkräften, daß keine der Zeugenaussagen mehr brauchbar zur Wahrheitsfindung scheint und die Schuldfrage offen bleiben muß. Auf diese Weise bringt er langsam auch andere zum Zweifeln, macht ihnen begreiflich, daß die Möglichkeit, etwas zu bezweifeln, Freiheit bedeutet. Sie beginnen, diese Freiheit zu schätzen und machen von ihr Gebrauch. Diejenigen, die nicht bereit sind, durch Zweifel von ihren Vorurteilen abzuweichen, beugen sich schließlich der Mehrheit (und sei es auch nur, um das bevorstehende Baseballmatch nicht zu versäumen) - der Junge wird freigesprochen. Die Zuschauer haben inzwischen fast vergessen, daß die Auseinandersetzung nicht echt sein soll, aber als sich die Schauspieler dann verbeugen: Viel Beifall für die Gruppe!
Weitere Aufführungen: Di, 27.6. 20h Lagerhaus Schildstr. Do, 29.6. 20h Bürgerhaus Vegesack. vi
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