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Die Fusion zwischen Himmel und Erde

■ Uneinige Theologen/ Das Zusammenwachsen der theologischen Ausbildungsstätten gestaltet sich nur schwierig/ Die Theologen von der Humboldt-Uni und die Theologen vom Sprachenkonvikt trennen Jahrzehnte der DDR-Vergangenheit

Berlin. Wer in dem Hinterhaus in der Borsigstraße in Berlin-Mitte studierte, hatte sich aus den gesellschaftlichen Strukturen der DDR ausgeklinkt. Er wußte, daß er in und von diesem Staat nichts mehr zu erwarten hatte. In dem roten Klinkerbau wurde auf engstem Raum gegessen, gelernt, gelehrt, gewohnt und geschlafen.

»Ich hatte die Nase voll von Lippenbekenntnissen, Gesinnungsschnüffelei und Scheindiskussionen, wie ich sie als Medizinstudentin an der Humboldt-Uni erlebt habe«, sagt Elgin Petermann-Heym. Sie entschloß sich, am Sprachenkonvikt Theologie zu studieren. Hier hätten die Studenten vor allem klar denken, unterscheiden und argumentieren lernen sollen. »Wir haben gelernt, daß das Wort Gottes so eindeutig sei, daß es nur einen Weg offenlasse.« Die Dozenten waren der Überzeugung, daß gerade die Theologie dazu befähige, die Wirklichkeit in kritischem Licht zu sehen.

Der Sprachenkonvikt, bis zum Mauerbau 1961 Wohnheim mit angeschlossener Sprachausbildung der Kirchlichen Hochschule in Zehlendorf, wurde von der DDR bis zur Wende nicht als Hochschule anerkannt. Die Dozenten durften keine Titel führen und wurden von der Kirche wie Pfarrer entlohnt — sie verdienten etwa 1.000 Mark weniger als ihre Kollegen an der Humboldt-Universität (HUB). Dafür hatte der Staat keinen Einfluß auf Lehrpläne, Studienverlauf oder auf die Diskussionen unter Studenten und Lehrenden. »Der Konvikt war in gewisser Weise ein geschützter Raum«, sagt Rudolf Mau, Dozent für Kirchengeschichte. »Es ging zwar vor allem um die Theologie, aber es kamen immer auch Dinge, die das Leben im Staat betrafen, offen zur Sprache.« Angst vor der Stasi hatte niemand, als Grundregel galt: Niemand redet mit denen allein. Ein Student, der auf der Leipziger Buchmesse einige Werke mitgehen ließ und daraufhin von der Stasi unter Druck gesetzt wurde, erschien zum nächsten Treffen in Begleitung des Konviktleiters. Die Stasi ließ nie wieder von sich hören.

Als nun nach dem Mauerfall der Sprachenkonvikt mit der Sektion Theologie der Humboldt-Universität im März 1991 fusionierte, prallten zwei DDR-Vergangenheiten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Die Sektion Theologie der HUB war als die röteste in der ganzen DDR verschrien. Schon in den 50er und 60er Jahren sorgte das Staatssekretariat dafür, daß politisch mißliebige Professoren und Nachwuchswissenschaftler systematisch herausgedrängt wurden. »Die dritte Hochschulreform der DDR ab 1968 zielte dann endgültig auf die politisch-ideologische Gleichschaltung des gesamten akademischen Bereiches«, sagt Hartmut Ludwig, Dozent für Kirchengeschichte an der HUB. »Demokratischer Zentralismus«, Marxismus- Leninismus, monatliche Berichterstattung über die politische Situation am Fachbereich und militärische Qualifikations- beziehungsweise Zivilverteidigungslager wurden auch für Theologen obligatorisch.

Unter den Professoren wüteten Grabenkämpfe: eine Gruppe vertrat die Auffassung, die wahre Kirche sei die unsichtbare, ohnmächtige Bruderschaft, die sich keinesfalls zu gesellschaftlichen Themen äußern dürfe. Die Welt sei bei den Marxisten in den richtigen Händen. Denen gegenüber stand eine CDU-Fraktion, die den Sozialismus gleichfalls bejahte, der Kirche aber unter Hinweis auf gemeinsame humanistische Ideale eine Nische im atheistischen Weltanschauungsstaat zusprach.

Beispielhaft für das Klima an der Sektion war der »Fall Baumbach«. Der Dozent für Neues Testament, Günther Baumbach, hatte 1974 einer Diskussion in seiner Wohnung, in der Studenten ihrem Ärger über die Ideologie und Propaganda des SED- Staates freien Lauf ließen, nicht widersprochen. Zudem versäumte er es, die Diskussion sofort der Sektion zu melden. Das taten dafür zwei der anwesenden Studenten am nächsten Tag. Die Uni-Leitung ordnete daraufhin an, daß sowohl der Dozent als auch sämtliche Anwesenden getrennt voneinander und unter Aufsicht ein Protokoll über den Diskussionsverlauf an dem betreffenden Abend zu schreiben hätten. Baumbach wurde der Vernachlässigung seiner Berichtspflicht angeklagt. Seine bereits seit Jahren hintertriebene Berufung zum Professor rückte einmal mehr in weite Ferne.

»Da ist viel Leid und Schuld entstanden«, sagt Ludwig heute. Auch wer sich nicht in diese Front einreihen wollte, habe Schuld auf sich geladen. »Anstatt seine Überzeugung zu vertreten und mal ein Fanal zu setzen, sind wir immer wieder Kompromisse eingegangen.«

Nachdem die beiden Ausbildungsstätten zunächst die beiden verschiedenen DDR-Potentiale hatten zusammenführen wollen, werfen die ehemaligen Konviktler jetzt den Humboldtianern Duckmäusertum und SED-Hörigkeit vor. Umgekehrt heißt es, an der Sektion hätte man anders als im Elfenbeinturm des Konvikts versucht, den Alltag der Leute zu leben, mit denen man später zu tun haben werde. »Der Umgang mit Geschichte macht nur Spaß, wenn man dort noch Möglichkeiten findet, die es zu verwirklichen gilt«, weiß Wolf Krötke, der im letzten Sommer zum Dekan gewählt wurde. Aber es müsse gefragt werden, was dazu geführt habe, daß ausgerechnet die Theologie sich in dieser Weise ideologisch habe kompromittieren lassen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war ein Fakultätsbeschluß zur Aufarbeitung der beiden Vergangenheiten. Eine Arbeitsgruppe ist jetzt dabei, anhand von Akten die Sektionsgeschichte zu dokumentieren. Hartmut Ludwig rief eine öffentliche Sozietät ins Leben, um ein Gespräch aller Beteiligten zu verschiedenen Themen zu ermöglichen.

Viel Zeit unter sich bleibt den ehemaligen DDR-Theologen nicht mehr: Im Sommer steht noch das Zusammengehen mit der Kirchlichen Hochschule (KiHo) in Berlin-Zehlendorf an, der das Sprachenkonvikt ursprünglich ohnehin angehört hatte. Die KiHo verdankt ihre Existenz der Bekennenden Kirche, die 1935 als Gegengewicht zur deutschchristlich dominierten Unifakultät eine eigene Ausbildung organisierte. Von den Nazis wurde sie am Tag ihrer Eröffnung verboten. Sie veranstaltete klandestine Vorlesungen. 1941 wurden jedoch alle Dozenten verhaftet. Nach dem Krieg hatte sie eine wichtige Funktion als einzige kirchliche Ausbildungsstätte für die Sowjetische Besatzungszone beziehungsweise DDR und als Ort des Austausches zwischen Ost und West. Mit dem Mauerbau geriet auch sie in eine Krise und verwandte in den folgenden Jahren alle Kraft darauf, Fakultätsrechte zu erhalten.

Die Beziehungen zur »Tochter« im Ostteil der Stadt bestanden über die Jahre fort: Neben Hilfeleistungen wie Geld, Geschenke und vor allem Literatur trafen sich die Dozenten regelmäßig einmal im Semester. Unter den Studenten entwickelten sich Arbeitskreise zu Themen wie feministische Theologie oder sozialgeschichtliche Fragestellungen. »An diese Kontakte können wir jetzt anknüpfen, obwohl sie natürlich auch Spannungen in sich bergen«, sagt Peter Welten, Professor für Altes Testament an der KiHo.

Zur Zeit der Wende hatte sich die KiHo gerade dazu durchgerungen, sich der FU angliedern zu lassen, da die Berliner Kirche sich den Luxus einer Hochschule nicht länger leisten wollte. Von der Neuorientierung des Konvikts überrascht, reagierte man fast mit Existenzängsten — als abzuwickelnde Hochschule einer starken HUB-Fakultät gegenüber.

»Wenn das gut geht, könnte es ein bißchen Modell sein für das, was hier im Großen zu leisten ist«, sagt Mau. »Aber es ist eine Aufgabe, die für eine Generation fast nicht zu bewältigen ist.« Corinna Raupach

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