piwik no script img

Die Fernseh- Verbesserer

Edel wollen sie senden, glaubhaft – und schön bunt: Wie Sat.1 und Moderator Ulrich Meyer um 18.30 Uhr aus Nachrichten Gefühle machen  ■ Von Thorsten Schmitz

Nur schnell weg hier. Stur den Blick auf den Boden gerichtet, bahnt sich Popstar Björk einen Weg durch Fotografen, Kamerateams und Reporter in der Ankunftshalle des Bangkoker Flughafens. Mit beiden Händen klammert sie sich am Trolley fest.

Björk in Bangkok, keine Sensation. Dann der Skandal.

Eine thailändische Reporterin bittet um ein Interview, Björk rastet aus. Sie boxt die Reporterin, prügelt sie mit dem Mikrophon.

Daß Popstars mal zuhauen, ist keine Nachricht. Daß Björk dabei gefilmt wurde, für Sat.1 dann schon. Schön schrille Bilder sind das. Und teuer. 2.500 englische Pfund bezahlt Sat.1-Redakteur Jürgen Schramm, 34, für die deutschen Exklusivrechte. An diesem Mittwoch hat Schramm, zuständig bei „18:30“ für „die Helden des Tages, aber auch die Verlierer, die Schönen und die Reichen“, nur ein Problem: in der Redaktion kennt niemand Björk. „Warum sollen wir das senden?“ fragt Chefredakteur Jörg van Hooven, 38. „Bei Björk handelt es sich um unsere Zielgruppe.“ Mit diesem Argument schafft es die Nullnachricht am Abend sogar in die Ankündigung für „18:30“.

Allerdings sendet „18:30“ den Bonbon Björk erst am Ende der Sendung, die Zuschauerzahlen sinken bedrohlich. Der Privatsender ist getrieben von der Angst, daß die Info-Elite der einzigen Nachrichtensendung des Tages untreu werden. „Im Fernsehen besteht sekündlich die Gefahr“, sagt van Hooven, „daß sich der Zuschauer wegzappt, wenn er sich nicht gut bedient fühlt.“ So schummelt Sat.1 zwischen harte Kost immer wieder leicht Verdauliches.

Den guten Service hat sich Sat.1 was kosten lassen: Oberkellner Ulrich Meyer kredenzt die neue Nachrichtensendung, bekannt als moderierender Rabauke bei „Einspruch“ und „Der heiße Stuhl“. Angerichtet wird die Welt von Nachrichtenchefin Bettina Warken, 33, außerdem stellvertretende Chefredakteurin. Stürbe Michael Jackson, würde sie damit die Sendung eröffnen.

Sat.1 will sein Kaffeefahrtenimage loswerden, deshalb soll nun mit der ersten Nachrichtensendung des Abends vor RTL (18 Uhr 45), ZDF (19 Uhr), Pro 7 (19 Uhr 30) und ARD (20 Uhr) mit Information Quote gemacht werden. Während die anderen Sender noch Meldungen sortieren, zieht „18:30“ schon einen Schlußstrich unter den Tag. An der Redaktions- Pinnwand hängt ein Zettel: „Wir sind angetreten, das Fernsehen zu verbessern.“

Die halbe Stunde von „18:30“ ist in vier Blöcke gesplittet: in Nachrichten, in die Klatsch & Tratsch- Rubrik „Life“, in Sport und Wetter. Wobei Beck's-Bier den Sport sponsert, Neuralgin-Schmerztabletten das Wetter. Das Erkennungslogo von „18:30“ ist eine Erdkugel, die sich um die eigene Achse dreht. Dynamik und Präsenz soll das vermitteln – und darüber hinwegtäuschen, daß die Welt von Sat.1 nur aus drei Hauptstädten besteht: Brüssel, Washington, Moskau. Die „Tagesschau“ verfügt über 25 Auslandskorrespondenten.

Trotzdem den Tag „in seiner Ganzheit“ darstellen, das versuchen Ulrich Meyer und die Sat.1- Crew als Untermieter von n-tv. Das Stammhaus von Sat.1 in Berlin-Mitte ist erst Ende des Jahres bezugsfähig, bis dahin darf das „18:30“-Team Studio und Technik des Nachrichtensenders nutzen. Zu welchem Preis, darüber schweigen sich beide aus. Worüber die Sat.1-Nachrichtenredakteure aber reden, ist das schwache Computersystem, das regelmäßig abstürzt und so den Ablauf der „18:30“- Tagesschau gefährdet, und über den Spagat, den sie absolvieren. Volle Leistung an 365 Tagen im Jahr – mit einem Minimum an Korrespondenten, Etat und Redaktionsräumen.

Um die Glaubwürdigkeit zu maximieren, spricht Ulrich Meyer die Sat.1-sortierten Nachrichten vor einem Hintergrund, der ein Büro in Miami zeigt. Pech nur, daß inzwischen alle Branchenwelt sich lustig macht über die virtuelle Dekoration. „Ich verstehe nicht“, empört sich Meyer, „warum um den Film so ein Gewese gemacht wird. Nachrichtenstudios sehen doch alle gleich aus.“

Dabei wollen sie ganz anders Nachrichten machen als die „Tagesschau“, aber mindestens so edel, hilfreich und glaubhaft. Die Redakteure staunen über das Fossil aus Hamburg. Es ist ihnen schleierhaft, wie man im Fernsehen drei Minuten lang Wortmeldungen verlesen kann. „Eine Fernsehnachricht ist doch erst dann eine, wenn es auch ein Bild dazu gibt“, sagt Meyer. Aber sie sind auch ein bißchen neidisch: „Bei denen fehlt nie eine Meldung“, ist einem Redakteur aufgefallen. Oft wird die Redaktion von Selbstzweifeln erfaßt, wenn mal wieder schlecht über „18:30“ geschrieben wird. Dann, sagt Bettina Warken, „fragen sie mich: ,Was machen wir eigentlich falsch?‘“. Nichts, findet die WDR-geschulte Chefin. Wer bei den Privaten arbeitet, tröstet sie ihr Team, der müsse immer gewahr sein, bei den „bösen Privaten“ zu arbeiten.

Drei Jahre läuft Ulrich Meyers Vertrag, innerhalb dieser Zeit will der stets fönfrische Anchorman den Kampf zwischen David (Sat.1) und Goliath (ARD) gewinnen: „Der Zuschauer soll alles stehen und liegen lassen, nur um uns zu sehen.“ Zukunftsmusik, da macht sich Meyer gar nichts vor. Denn erstens schließen um 18.30 Uhr gerade mal die Geschäfte, und zweitens schaltet er selbst, „mechanisch fast schon“, um 20 Uhr das erste Programm ein.

Phantasievoller will das „18:30“-Team senden, das beim Umzug von Hamburg nach Berlin halbiert wurde. So erklärt sich die detailbesessene Diskussion darüber, wie sich das Schneechaos quotenträchtig illustrieren läßt. Reporter Wolfgang Stoltz hat den pfiffigsten – und kostenintensivsten – Vorschlag, Bettina Warken seufzt: „Das wird ein teurer Tag“ – und schickt ihn los. Stoltz fliegt mit dem Hubschrauber nach Rügen, bleibt dort zehn Minuten lang, fliegt zwei Stunden wieder zurück – und liefert eine Minute Schneekatastrophe, geschickt plaziert zwischen Werften-Krise und Wahlkampfgetöse. Stoltz ist der Held des Tages bei Sat 1: Das Schneegestöber findet bei den anderen Privaten und den Öffentlich- Rechtlichen als Ware von der Stange statt: dieselben Bilder mit demselben Text.

Wenn es nur immer so wäre. Für Ulrich Meyer, der mit einem Minimum an Mimik den großen Hajo Friedrichs zu kopieren sucht, ist das Ziel „noch lange nicht erreicht“. Eigentlich stimmt gar nichts: „Optik, Inhalte der Berichte und Grafiken sind noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Ebenso das Handling in der Redaktion, die Themenauswahl im Life- Teil und der Wetterbericht.“ Manchmal treibt ihn die Angst um, die Redaktion könnte am Zuschauer vorbeischreiben. Bauchgeschichten müßten „bauchig“ rüberkommen, aus einer Antibabypillen-Hysterie dürfe man kein „Oberseminar staubtrockener Professoren“ machen, und Vulkan, betet er auf der Themen- Konferenz mit gefalteten Händen, „ist doch heute das Thema der Republik!“ Meyer will Schicksale, an denen die Politik erfühlbar wird.

„Wohl fühlen“ soll sich der Zuschauer bei Meyer, darauf ist Bettina Warken erpicht. Deshalb entläßt sie ihn nur ja nicht „mit einem Hammer, wir bemühen uns immer um etwas Versöhnliches“. An diesem Tag wird ihr das etwas schwergemacht. Und es ist Mittwoch, mittwochs läuft sowieso immer alles schief. Ein Bericht über einen Angeklagten scheitert an fehlendem Bildmaterial. Nur die ARD hat den Mann beim Protestspaziergang über Autos gefilmt, aber „von denen“, wiegelt Warken ab, „kaufe ich nix“. Bis kurz vor halb sieben kämpft sie außerdem um ein „Stück“ über die Auswirkungen der Vulkan-Werften-Krise im Osten – vergebens. Wütend verfolgt die Redaktion die Konkurrenzsender, darunter Erzfeind Pro 7: Sie alle haben ein „Ost- Stück“.

Der Hauptstadt fehlen 6 Milliarden Mark – und Bettina Warken Sendeminuten. Die Nachricht über Berlins Finanzkrise bleibt ungesendet, björkhalber: „Ich kann den Björk-Film doch nicht rausschmeißen, der war teuer.“ Bettina Warken ist verzweifelt. Die bestellten Beiträge kommen zu spät, und zu allem Überfluß erliegt der Bonn-Korrespondent Stunden nach der großen Konferenz, auf der das Korsett für „18:30“ festgezurrt wird, dem Bonn=wichtig- Syndrom: Die Große Koalition sei nun auch bei der CSU ein Thema, er brauche unbedingt eine Live- Schaltung aus Passau. Meyer telefoniert mit dem Korrespondenten und läßt sich wider Willen breitschlagen, Warnke hat keine Ahnung, wie sie das trockene Thema unterbringen soll. Am Abend ist Sat.1 der einzige Sender, der in den Worthülsen der Politiker am Aschermittwoch das Thema Große Koalition entdeckt hat. Meyer hatte die Gefahr schon kommen sehen: „Wir müssen unsere Beiträge noch faktenreicher machen, die Reporter dürfen sich nicht in bloßer Performance verlieren.“

Bis kurz vor Sendebeginn werden die Beiträge geschnitten, betextet, geprüft. Viel Zeit für Diskussionen bleibt nicht. Auf der Konferenz wurden die richtigen Fragen noch gestellt: Wie kann ein Schiffskonzern in einem Jahr eine Milliarde Mark in den Sand setzen? Warum können wir auf dem Mond landen, aber keinen Tanker abschleppen? Allerdings bleibt das Nachrichtenteam dem Zuschauer von „18:30“ – und sich selbst – die Antworten schuldig. Das Manko versuchen die Sat.1-Redakteure durch möglichst viele Live-Schaltungen aufzufangen. Was nicht immer der Verständlichkeit dient.

Vor laufender Kamera duzt Ulrich Meyer den Bonn-Korrespondenten, wie überhaupt alle Korrespondenten geduzt werden, und fragt ihn nach der Motivation bei der CSU zur Großen Koalition. „Hans“ antwortet nebulös: „Bei der CSU geht durchaus die Angst um. Weder Waigel noch Stoiber erwähnen mit einem Wort das Große-Koalition-Gespenst. Beiden ist klar, daß nach den Landtagswahlen die Union ohne die Hilfe der SPD bei den Problemen mit dem Bündnis für Arbeit nicht auskommen wird.“

Niemand hat den Korrespondenten verstanden, womöglich er selbst sich auch nicht. Aber das ist kein Thema mehr, morgen ist wieder ein Tag.

Statt dessen lobt der Chefredakteur den Beitrag aus Rügen, die Grafik zum Schiffsunglück – und den Rausschmeißer, einen kurzen Bericht über die älteste Frau Brasiliens, die mit ihren 124 Jahren ein Puppengesicht bewahrt hat.

Die Redakteure fanden den Rausschmeißer „süß“, was den Chefredakteur des ältesten deutschen Privatsenders zu einer philosophischen Betrachtung hinreißt: „Irgendwie scheint es so zu sein, daß wir uns im Alter zurückentwickeln.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen