: Die Feierlichkeiten werden im Sitzen verfolgt
■ Auch Bayern stehen auf: Ein 4:2 gegen Stuttgart beschert den 14. Meistertitel
München (taz) – Zehn Minuten waren noch zu spielen im Münchner Olympiastadion, und die Ordnungskräfte machten sich abermals daran, die roten Absperrungsbänder zu verschieben, die sie hier Medienkonzept nennen. Alles war nun auf Jubel in Rot und Weiß programmiert: In der Südkurve hatten sie schon seit einer Weile Schalker Liedgut umgetextet („Steht auf, wenn ihr Bayern seid!“), und sitzen mochte eh keiner mehr, zumal Bayerns Solo-Entertainer Mario Basler sich zu den Stehplatzrängen aufgemacht hatte, die Welle anstiften wie Berti in Wembley. 4:2 gegen den verhaßten VfB Stuttgart stand es, als die Anzeigetafel derweil Tor Nummer vier des 1. FC Köln gegen Bayer Leverkusen vermeldete.
Auf der Ehrentribüne hatten sich die Spielerfrauen eine mit Eis und Schampus gefüllte Spielzeugkiste besorgt; Gläser auch, weil selbst in solchen Momenten in München der gehobene Stil gepflegt wird. Man möge doch, bitteschön, auf den Sitzen die Feierlichkeiten verfolgen, flehte der Stadionsprecher wie ein braver Streifenpolizist, der Kinder in der Verkehrserziehung überzeugen will, daß man bei Rot nicht über die Ampel gehen darf. Die Bayern kickten sich in den letzten beiden Spielminuten an der Mittellinie den Ball zu, während die ersten Fans die Gräben überwunden hatten, die sie eigentlich vom Spielfeld fernhalten sollen. Und die Sicherheitshüter waren völlig überfordert – weil sie wohl selbst gern feiern wollten.
Der Stadionsprecher meldete sich noch mal zu Wort, und er sagte, daß man keinerlei feierliche Vorbereitungen getroffen habe. Das erstaunte zwar ein wenig, weil beim FC Bayern ansonsten so ziemlich alles inszeniert ist, zu rechnen war aber tatsächlich nicht mit dem vorzeitigen Titelgewinn, dem 14. in der Vereinsgeschichte. „Natürlich hatte ich gehofft, daß die Kölner gegen Leverkusen gewinnen“, sagte Franz Beckenbauer, der Präsident, „aber geglaubt hatte ich daran nicht.“ Nach sechs Minuten womöglich schon, da stand es nämlich schon 1:0 in Müngersdorf, und in der olympischen Betonschüssel haben sie gejubelt, als wäre alles entschieden. War's aber nicht, denn eine Junge namens Danny Schwarz, von dem wohl die Hälfte der Bayernkicker noch nie gehört hatte, trat die Kugel wuchtig zum 1:0 für den VfB in Kahns Kasten. Mithin lief es insgesamt so wie erwartet, nur umgekehrt. Wenig später aber war die Welt der Bayern wieder in Ordnung, weil Christian Ziege per Kopf zum Ausgleich traf, Danny Schwarz wehrte den Ball erst hinter der Torlinie ab, und die Stuttgarter echauffierten sich solcherart, daß ihr Spielgestalter Krassimir Balakow in den folgenden fünf Minuten zwei gelbe Karten, also den Spielausschluß kassierte. Der VfB bewies erneut, daß er dringender psychotherapeutischer Behandlung bedarf: fünf gelbe Karten in der ersten halben Stunde, der Orientierung gänzlich verlustig gegangen in dem Trubel.
Sekunden vor der Pause dann eine Flanke von Jürgen Klinsmann, die Mehmet Scholl per Kopf zum 2:1 umleitete. Der FC Bayern Halbzeitmeister. Als die Pause vorüber war, traf Fredi Bobic noch einmal zum überraschenden Ausgleich, aber Bayern-Torwart Oliver Kahn, bei dem in derlei Situationen gern mal die Gehirnzellen Karussell fahren, blieb erstaunlich gelassen. „Ich wußte, daß wir noch das 3:2 schießen“, sagte er, „das war nur eine Frage der Zeit.“ Und diese Zeit war bereits nach einer Viertelstunde rum: Mario Basler hatte die letzten Kräfte für eine Flanke auf Ruggerio Rizzitelli mobilisiert und jener zum 3:2 eingeköpft. Selbst Marcel Witeczek durfte noch ein Tor schießen, ein gewaltiges aus knapp 25 Metern.
Das war's dann wirklich und endgültig, und Witeczek hatte die Blümchen gerechtfertigt, die sie ihm vor dem Spiel überreicht haben, weil er sich Richtung Mönchengladbach verabschiedet. Ob ihm das, was ausgerechnet ein als TV- und Zeitungskommentator arbeitender Teilzeitpräsident gestern als „Quatschküche“ bezeichnete, ob ihm dieser Münchner Irrsinn fehlen wird? Kaum zu erwarten eigentlich, wiewohl im Rheinland die Aussichten auf einen Titelgewinn deutlich geringer sind als beim FC Bayern. Markus Götting
VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Verlaat (76. Posch) – Herzog, Schneider – Schwarz, Poschner, Balakow, Hagner (76. Djordjevic), Haber – Elber, Bobic
Zuschauer: 63.000 (ausverkauft)
Tore: 0:1 Schwarz (17.), 1:1 Ziege (19.), 2:1 Scholl (45.), 2:2 Bobic (51.), 3:2 Rizzitelli (65.), 4:2 Witeczek (78.), Gelb-rote Karte: Balakow (23.) wegen Meckerns
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