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„Die FDP ist überflüssig geworden“

■ Senatorin Helga Trüpel über Mutterglück in der Politik, den grünen Anspruch auf das liberale Erbe und andere Parteifragen im Wahlkampfjahr / „Von brillanter Kulturpolitik kann man bei den Rahmenbedingungen nicht sprechen“

taz: In ein paar Tagen beginnt das Wahlkampfjahr. Kann man noch offen reden?

Helga Trüpel, grüne Senatorin: Ja. Man muß sogar offen reden.

Was viele interessiert, wenn sie an die Kultursenatorin denken, ist die menschliche Frage: Geht das, Mitglied einer Landesregierung zu sein und ein Kind zu bekommen? Sich als Mutter verantwortlich um einen Säugling zu kümmern?

Die Grünen sind die Partei in Deutschland, die am ehesten dafür eintritt, daß das für Frauen möglich sein muß. Die Umweltministerin in Niedersachsen, Monika Griefahn, hat in ihrer Amtszeit ihr zweites Kind bekommen und weitergemacht – es geht also.

Und das vertragen die Politik-Strukturen?

Es wäre bestimmt gut, wenn die Politik sich ein bißchen ändern würde, um solche Kombinationen besser zu ermöglichen. Ich freue mich sehr über einen neuen Lebensschwerpunkt und das soll für mich nicht den völligen Rückzug aus der Politik bedeuten. Ich muß die Mischung natürlich noch finden, die für mich selber paßt.

Kurz vor der Wende zum Wahlkampfjahr hat vor allem der Wirtschaftssenator seine Unlust an der Ampel-Koalition zum Ausdruck gebracht. Ist bei Ihnen auch eine Unlust da, sich auf sowas nochmal einzulassen?

Die Stimmen hätten für Rot-Grün doch nicht gereicht, wie man auch nach den Erfahrungen mit den Mißtrauensvoten weiß. Aus grundsätzlichen demokratietheoretischen Erwägungen bin ich damals aber auch dafür gewesen, mit der FDP gemeinsam diese Koalition mit der SPD einzugehen. Allein wären wir sehr schnell in die Rolle des kleinen Juniorpartners hineingerutscht. Mit zwei Partnern haben wir der SPD immerhin vier Ressorts wegnehmen können.

Auf einer inhaltlichen Ebene hat sich aber herausgestellt, daß die die Ökonomie-Ökologie-Konflikte mit dieser FDP erheblich geblieben sind. Natürlich geht es beim Sanierungsprogramm um Investitionen, aber die Wirtschaftspolitik der FDP sucht für Bremen keine modernen und innovativen Perspektiven, wie wir uns das gewünscht hätten. Die FDP agiert sehr traditionell.

In der Innen- und Ausländerpolitik ist die Politik des FDP-Ressorts weit weniger liberal als wir uns das gewünscht hätten. Eine besondere Innenpolitik, die auf Liberalisierung aus wäre, findet in Bremen nicht statt. Gegenüber den früheren SPD-Innensenatoren scheint sich das Innenressort nach rechts zu profilieren, wenn man die Signale nach außen betrachtet. Hessen und Niedersachsen haben sich gegen Bundesinnenminister Kanther profiliert.

Eigentlich ist das eine ideale Situation für die Grünen, um zu sagen: Wir nehmen der FDP bei den nächsten Wahlen entscheidende Prozente weg. Eben die gesinnungs-liberalen Stimmen.

Dafür plädiere ich vehement. Die FDP ist bei den Verhandlungen in Bonn mit der CDU/CSU so eingebrochen, daß sie für linksliberale WählerInnen eigentlich nicht mehr wählbar sein kann. In Vierteln, in denen die FDP immer stark war, wie Schwachhausen, Horn, Oberneuland, da haben wir erheblich Stimmen dazugewonnen. Wir dienen uns nicht dem FDP-Klientel an, sondern wir sind die Erben dieser rechtsstaatlichen, an Menschenrechten orientierten, eben liberalen Innenpolitik und Ausländerpolitik. Es muß unser Ziel sein, die FDP unter die 5 Prozent zu drücken. Die FDP ist überflüssig geworden.

Wenn eine Politikerin sagt: Es muß unser Ziel sein..., dann ist es meist noch nicht das Ziel ihrer Partei.

Es ist mein Ziel. Der Ressortzuschnitt „Kultur und Ausländerintegration“ ist neben den klassischen Zielgruppen auch für die intellektuellen und linksbürgerlichen Wähler und Wählerinnen interessant.

Inerhalb der Grünen Partei gibt es seit Jahren eine Auseinandersetzung, ob man nur eine linke Milieu-Partei sein will oder auch eine Partei, die sich den neuen linksbürgerlichen Schichten öffnet. Das ist nicht die rechte Mitte, die wir da ansprechen, sondern die linksliberale Mitte.

Gelder, die für Kultur und Ausländerintegration ausgegeben werden sollen, müssen über Steuereinnahmen verdient werden...

Richtig.

... Die Grünen haben nicht das Image, daß sie die bessere Wirtschaftspolitik gemacht hätten, wenn sie gekonnt hätten.

Wenn man gucken würde, was wir innerhalb der Ampel gerade mit dem Sonderinvestitionsprogramm durchgesetzt haben, dann würde man da nicht nur im Sinne der 60er Jahre „Straßenbau um jeden Preis“ finden, sondern auch wegweisende Investitionensschwerpunkte. Daß das in der Öffentlichkeit noch nicht so deutlich werden kann, hat sicherlich auch mit den beiden Strömungen innerhalb der Grünen zu tun.

An der grünen Basis kommt vor allem an, wenn ein Protest gegen ein Wirtschaftsprojekt nicht erfolgreich war. Sozialer Protest artikuliert sich, wenn eine Kürzung stattfindet.

Nehmen wir zum Beispiel die Investition für die Straßenbahn-Linie 4. Die Grünen haben sehr dafür gestritten, erhebliche Gelder fließen dahin und eben nicht in die Untertunnelung der Martinistraße. Natürlich gibt es nicht einfache eine Interessen-Identität von Ökonomie und Ökologie. Aber grüne Politik kann ja nicht nur Interessenvertre-tung von Bürgerinititiven sein, sondern muß um Interessenausgleich streiten. Die Rolle des BUND oder von Gerold Janssen ist da eine andere.

SPD 39, Grüne 11 macht 50 – Kann es sein, daß die PDS den Grünen die entscheidenden Stimmen wegnimmt, die für eine rotgrüne Koalition erforderlich wären?

Wir müssen alles daransetzen, daß das nicht passert...

Das heißt: Es kann sein.

Das Bundestagswahlergeb-nis sagt: Die PDS hat im Ostertor/Steintor 10 Prozent bekommen. Man konnte an der Kontroverse Hucky Heck/Günter Warsewa noch einmal nachvollziehen, wie schlicht manche Positionen von Hucky da sind. Diese linke Sozialutopie und diese romantische Anti-Politik, die in der PDS gepflegt werden, die schlagen also ein. Aber so sind die Grünen nach zehn Jahren Politik und auch Regierungspolitik nicht mehr.

Aber die Wähler haben nicht mitregiert, die sind oft noch so.

In kleinen Teilen, ja. Aber die Grünen haben dort, wo die PDS 10 Prozent hatte, kaum verloren. Und was die Utopien der PDS angeht, so muß man sich nur angucken, was sie in den neuen Bundesländern, wo sie über Einfluß verfügt, konkret alles mitbeschließt. Das ist alles andere als ökologisch und sozialromantisch.

Kann man sagen, daß die potentiellen Wählerinnen der Grünen, die an einzelnen Umwelt-Punkten enttäuscht sind, über die brillante Kulturpolitik wieder versöhnt sind?

Von einer brillanten Kulturpolitik kann man unter den Rahmenbedingungen in Bremen nicht sprechen. Die Stadt München hat einen Etat von 7,8 Milliarden, das Land Bremen etwa 7,5 Milliarden. Also vergleichbar. München hat einen Kulturetat von 250 Millionen, dazu kommen die Landesmittel; wir haben 125 Millionen.

Von der Finanzierung des Erweiterungsbaus für das Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven auf der einen Seite bis zum festen Haushaltstitel für Lagerhaus und Schlachthof auf der anderen Seite gibnt es eine lange Liste - nicht brilliant, aber vorzeigbar. Ich will sagen: Bremen hat immer im Verhältnis wenig für Kultur ausgegeben. Dafür ist die Kulturszene immer sehr lebendig, vielfältig und neuerungswillig gewesen.

Es gibt viele Kultur-Institutionen, die sehen den Chef der Kulturbehörde lieber von hinten...

Das ist so, das hat aber weniger mit seinen Anstößen zu tun als mit seiner Art, wie er die Leute anspricht.

Sozusagen die Kultur des Umgangs.

Genau.

Wenn über die Zeit nach der nächsten Wahl geredet wird, geht es immer um Senatsverkleinerung. Als erstes geht es dann um die kleinen Ressorts, Häfen und Kultur.

Und Arbeit und Frauen, die drei. Da gibt es schon einige überlegungen, zum Beispiel Wirtschaft und Häfen zusammenzulegen. Die Debatte über neue, sinnvolle Ressortzuschnitte beginnt in den Parteien gerade erst.

Int.: K.W.

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