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DOKUMENTATION„Die Entscheidung der Genossen ist richtig“

■ Erklärung der zu lebenslänglicher Haft verurteilten Irmgard Möller zur Waffenstillstandserklärung der RAF

wir wollen gleich kurz folgendes sagen: die entscheidung unserer genossen draussen ist richtig, sie entspricht dem, worauf auch wir gefangene für den politischen prozess aus sind.

wir wollen — seit 89 ja schon — eine zäsur im gesamten politischen zusammenhang. ein solcher schritt kann von allen beteiligten nicht nur am bereich der gefangenen angepackt werden.

wir sehen auch heute noch um vieles deutlicher als es schon mitte der 80er zu erkennen war und im hungerstreik 89 von uns das erste mal politisch angepackt und in eine praxis umgesetzt wurde,

dass die globalen und innergesellschaftlichen umbrüche so tiefgehend sind, dass sie für alle eine einfache fortsetzung der politik und praxis der 70er und 80er jahre unmöglich machen.

wer weiter an der notwendigkeit revolutionärer umwälzung der bestehenden weltweiten und innergesellschaftlichen ungerechten und zerstörerischen verhältnisse festhält, muss diese umbrüche begreifen und zu einer neubestimmung von inhalten und formen der eigenen politik kommen, auch im verhältnis zu den jeweils anderen linken erfahrungen und lebensweisen.

wir gefangene begreifen das als direkte politische zielsetzung für jetzt und ,nach dem knast‘:

neuorientierung in der gesellschaft und den internationalen zusammenhängen und beziehungen, ein offener lernprozess.

das muss als erstes für die vier haftunfähigen realität werden.

bernd und günter müssen sofort raus.

erst mit ihrer freilassung gibt es wieder ein rationales moment in der auseinandersetzung zwischen den politischen gefangenen und dem staat.

dabei geht es um einen gründlicheren schritt für alle beteiligten.

einen einschnitt gegenüber der geschichte von 22 jahren.

wir spinnen uns nicht an dem, was real möglich ist, vorbei, wenn wir sagen:

wir wollen eine perspektive der freiheit für alle von uns in einem absehbaren nächsten zeitraum.

auch in unserer vorstellung geht das nicht sofort und nicht auf einmal für alle von uns.

wir sagen aber ganz deutlich: was 22 jahre lang nach politischen erwägungen und kriterien der bekämpfung und vernichtung auch gegenüber den gefangenen entschieden wurde (von den sondergesetzen, über die staatsschutzgerichte bis zu den details der isolation) — wogegen wir uns als kollektiv durchgekämpft haben, neun von uns gefangenen sind in diesem kampf gestorben, aber in seinen zielen haben wir es zum scheitern gebracht — kann nicht nach diesen jahrzehnten als scheinnormales verfahren einer ,lösung‘ zugeführt werden.

das ginge an der wirklichkeit vorbei und wäre eine verhöhnung aller, die einen anderen begriff der politischen geschichte der letzten 25 jahre der brd haben als die sicherheitsapparate und die staatsschutzjustiz. und die sich ihre politische geschichte nicht rauben lassen wollen.

geschichte ist kein staatsbesitz, die staatsoffizielle version ist nicht unsere.

es geht nur so, dass mit gesellschaftlichen widersprüchen politisch umgegangen wird.

wir, die gefangenen aus raf und widerstand, und die raf haben dafür den raum aufgemacht.

mit ,taktieren‘ hat das nichts zu tun. irmgard möller

für die gefangenen aus raf und widerstand

lübeck, 15.4.92

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