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Die Einwegsockenaffäre

Die Grünen streiten weiter über die Bonusmeilenaffäre. Mit ein paar Tipps vom Kollegen Matthias Berninger läuft die nächste Wahlperiode vielleicht besser

BERLIN taz ■ Die Grünen, die noch im Bundestag sitzen, dreschen mittlerweile wegen privat verflogener Bonusmeilen öffentlich aufeinander ein. Der Abgeordnete Winfried Hermann sagte der Bild-Zeitung, ihm komme wegen des Verhaltens seines Fraktionschefs Rezzo Schlauch „die Galle hoch“. Schlauch hatte zugegeben, dienstlich erworbene Bonusmeilen der Lufthansa privat genutzt zu haben.

Matthias Berninger, grüner Staatssekretär im Verbraucherministerium, nutzt die aufgebauschte Affäre dazu, kommenden Bundestagsabgeordneten Tipps zu geben: Darf ich oder darf ich nicht – zum Beispiel das Logo der Grünen neben den Bundesadler auf den Briefkopf drucken? Oder die Einwegsocken der Lufthansa für private Zwecke gebrauchen?

Mit dem „Wegweiser für Abgeordnete“, der Taschenfibel des Bundestags, ließe sich das Berufliche vom Privaten nach Berningers Meinung schon relativ leicht trennen – aber wer nimmt sich bei 80 bis 120 Arbeitsstunden pro Woche die Zeit, das Heftchen durchzuackern?

Deshalb empfiehlt Berninger, sich erst mal einen erfahrenen Mitarbeiter zu suchen. Er selbst habe 1994 „einen aus der 83-er-Generation“ rekrutiert, als die Grünen zum ersten Mal in den Bundestag kamen. Der alte Fuchs sagte dem damals jüngsten Bundestagsabgeordneten zum Beispiel, dass er den Bundesadler zusammen mit dem Grünenlogo auf seinen Briefköpfen eben nicht verwenden darf.

Doch ganz perfekt ist auch der 30-jährige studierte Lehrer Berninger nicht. „Ich gestehe, dass ich dienstlich erworbene Einwegsocken der Lufthansa gelegentlich privat zum Fahrradfahren genutzt habe“, offenbart er sich der taz. Die Socken besäßen die einzigartige Qualität, sich auch in speziellen Rennpedalen nicht zu verhaken.

Den Schaden, der dem Bundestag mit dem Sockenklau entstanden ist, hat Berninger wohl durch die einzige Unachtsamkeit, die ihm nach seiner Auskunft unterlaufen ist, wieder wettgemacht: Er habe nicht gewusst, dass der Bundestag wie alle Arbeitgeber die Hälfte der gesetzlichen Krankenkassenbeiträge zahlt – so habe er vier Jahre lang pro Monat rund 175 Euro mehr abgedrückt als nötig.

Eine weitere Grauzone: Ob die kostenlose Beförderung für Abgeordnete mit Deutscher Bahn und Berliner Verkehrsbetrieben dienstlich oder privat erfolgt, wird nicht kontrolliert.

Klar liegt der Fall bei der Steuer: Während die „Aufwandsentschädigung“ in Höhe von 3.417 Euro steuerfrei ist, müssen die 6.878 Euro „Abgeordnetenentschädigung“, also Diät, seit 1977 versteuert werden.

Das wollte zum Beispiel Cem Özdemir nicht wahrhaben, wenn man seiner Erklärung, er sei „naiv“ gewesen, folgen will. Der junge Grüne ließ über Jahre Steuerschulden auflaufen.

Berninger kann das zwar nicht ganz nachvollziehen. „Das Meiste weiß man“, sagt er. Doch „das Meiste“ erfahre man eben nur von Mund zu Mund. So hätten ihn auf die zu erwartenden Steuernachzahlungen Joschka Fischer und Uschi Eid beizeiten hingewiesen. „Bildet Rücklagen, sagten die alten Hasen“, erinnert sich Berninger an seine Anfangszeit 1994, als er mit Özdemir ins Paralament einzog.

Doch ein bisschen Glück gehört auch dazu: „Gut möglich“, sagt Berninger, dass Özdemir gerade ein Interview gegeben habe, als Fischer und Eid den jungen Berninger aufklärten.

Der Rückzug Özdemirs wegen des Hunzinger-Kredits und der Bonusmeilenaffäre ärgert den politischen Weggefährten immer noch. „Er fehlt uns als Symbolfigur und das stärkt nur die Rechte“, sagt Matthias Berninger. „Deshalb sollten wir Grünen über seinen Rücktritt nochmal nachdenken“.

SEBASTIAN SEDLMAYR

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