: Die Ehe als Seifenoper
■ Über Philip Roths Roman „Mein Leben als Mann“
Wie in fast allen anderen Büchern von Philip Roth geht es auch in Mein Leben als Mann um die Unzufriedenheit eines Individuums mit seinem Dasein. Der jüdische Schriftsteller Peter Tarnopol heiratet 1959 einundzwanzigjährig, „entgegen meinen Neigungen, jedoch in Übereinstimmung mit meinen Prinzipien“ Maureen, eine Frau mit katastrophaler und beängstigender Vergangenheit. „Ich fühlte mich zu ihr hingezogen“, wird Tarnopol resümierend in seiner Erzählung schreiben, „weil sie soviel durchgemacht hatte und weil sie so tapfer war. Nicht nur, daß sie überlebt hatte, sondern wassie überlebt hatte, verlieh ihr in meinen Augen enormen moralischen Wert, ja Glanz: auf der einen Seite die puritanische Strenge, die Prüderie, die Sanftheit, die Fremdenfurcht der Frauen ihrer Umgebung, auf der anderen die Kriminalität der Männer.“ Spätestens nach diesem Bekenntnis begreift der Leser, daß die Beziehung nicht von Dauer sein kann. Teils mit Unglauben, teils mit Kennermiene folgt man den weiteren Entwicklungen und möchte Tarnopol immer wieder mal zurufen: „Mann, Junge, so geht das nicht!“
Mein Leben als Mann beginnt mit zwei längeren, stark autobiographischen Erzählungen des Schriftstellers Tarnopol. Hier erfährt der Leser, daß Tarnopol während seiner Army und Studentenzeit kein Kind von Traurigkeit war. Die Freuden des Lebens, vor allem der Sexualität, hat er in vollen Zügen genossen, dabei jedoch nie sein Literaturstudium und Vorwärtskommen als Autor aus den Augen verloren. Nach seinem Studium, das er summa cum laude abschließt, wird er Dozent für Literaturwissenschaft und Kreatives Schreiben. Flaubert ist nicht nur sein großes literarisches Vorbild, sondern dessen Bücher werden ihm quasi auch zum Verhängnis. „Mein Problem mit Mitte Zwanzig bestand darin, daß ich, voller Erfolg und Selbstvertrauen, nicht bereit war, mich mit Komplexität und Tiefe allein in Büchern zu begnügen. Vollgestopft mit großer Literatur - hingerissen nicht nur von billigen Romanzen wie Madame Bovary, sondern von Madame Bovary -, erwartete ich, im Alltagsleben die gleiche Atmosphäre von Schwierigkeit und tödlichem Ernst anzutreffen, die sich durch die von mir am meisten bewunderten Romane zog.“
Mit dem Kennenlernen von Maureen wird der Wunsch nach „moralischer Seelenqual“ zur Realität, aber „statt mit den Widrigkeiten der ernsten Dichtung bekam ich es mit den Widrigkeiten der Seifenoper zu tun“. Tarnopol betrachtet Maureen von Anfang an nur als eine Art moralischen Prüfstand, als Liebesobjekt ist sie für ihn indiskutabel, von ihrer „Rücksichtslosigkeit, ihrer Lust an Szenen mit wüsten Vorwürfen, ihrem Hang zum moralischen Overkill“ ist er gleichzeitig fasziniert und abgestoßen. Nach anderthalbjähriger Verbindung gelingt es Maureen mit Hilfe einer „falschen Urinprobe“, Tarnopol vor den Traualtar zu schleifen. Der vollkommen in literarischer Fiction gefangene Tarnopol sieht für sich in der fingierten Schwangerschaft die einmalige Chance, das Leben zur Literatur zu machen, endlich „eine jener moralischen Entscheidungen “ zu treffen, „über die ich soviel in Literaturseminaren gehört hatte“.
Der bereits vor der Ehe herrschende Kriegszustand zwischen den beiden führt nach der Heirat zu alptraumhaften Zuständen, nachdem Tarnopol seine von Maureen unbefriedigten sexuellen Bedürfnisse in der Liebesbeziehung zu Karen, einer seiner Studentinnen, auslebt, die im Gegensatz zu Maureen „freundlich, sanftmütig, eine verführerische Mischung aus selbstbewußter Unschuld und scheuer Abenteuerlust“ ist. In ihrer psychophatischen Eifersucht bleibt Maureen der Seitensprung ihres Mannes nicht verborgen und so inszeniert sie in immer kürzeren Abständen infame Terrorakte wie den folgenden: “...sie lief in die Wohnung zurück und schluckte eine kleine Handvoll Schlaftabletten. Dann kroch sie auf allen vieren in Unterwäsche ins Wohnzimmer, kniete sich dort auf den Fußboden und wartete mit meinem Gillette-Rasierer in der Hand geduldig darauf, daß ich das Gespräch mit meinem Studentenflittchen beendete und nach Hause kam, damit sie endlich anfangen konnte, sich beinahe umzubringen.“
Tarnopol muß sich in die Obhut eines Therapeuten begeben, trennt sich schließlich von seiner Frau und läßt sich auf eine Liaison mit Susan ein, einer jungen Aristokratin mit „gesetztem und gesittetem Masochismus“. Roths Held ist ein Durchschnittsmensch, er rennt immer wieder ins gleiche Verderben, ohne es zu erkennen. Da nützt es auch nichts, wenn Tarnopols Bruder Moe wütet: „Noch so eine abgewrackte Schickse. Erst das Lumpenproletariat, jetzt die Aristokratie. Was bist du, der Malinowski von Manhatten? Genug erotische Anthropologie. Sieh zu, daß du sie los wirst, Pep. Du bist dabei, deinen Stecker wieder in genau die gleiche Steckdose zu stecken.“
Was die Kritik bereits seinem vor zwei Jahren bei Hanser erschienenen Roman Gegenleben vorgeworfen hat, nämlich daß er „zu viele Anfänge, zu viele Zentren und zu viele Schlüsse“ (Reich-Ranicki) habe, läßt sich auch gegen Mein Leben als Mann vorbringen. Roth erzählt das Ehetrauma des Peter Tarnopol in kleinen, in sich abgeschlossenen Einheiten aus verschiedenen Perspektiven. Das macht die Lektüre zu Anfang verwirrend, im Fortlauf manchmal langweilig, weil sich bei dieser Erzählform die Ereignisse zwangsläufig wiederholen und überschneiden müssen. Nichtsdestotrotz entlarvt Roth in diesem Roman, der mit Abstand sein autobiographischster sein dürfte, auf dem Hintergrund konservativer und puritanischer Wertvorstellungen seinen Helden Tarnopol als „Vollidioten“, der „wie ein kleiner Junge in einem Supermann-Kostüm“ durch eine Hölle privater Obsessionen stolpert. Über weite Strecken ist das wirklich äußerst amüsant zu lesen.
Wolfgang Rüger
Philip Roth: Mein Leben als Mann. Aus dem Amerikanischen von Günter Panske, Kellner Verlag, 400 Seiten, 42 Mark
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