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Die Demut der Gedanken

Am Thalia: Krystian Lupa verwandelt Musils „Die Schwärmer“ vom Lese- in ein Theaterstück  ■ Von Karin Liebe

Manche Menschen haben das Zeug zum Seelenfänger. Sie bezaubern durch kluge Worte und verstehen es, lange verdrängte Gefühle im anderen heraufzuspülen – bis man glaubt, nur von diesem einen verstanden zu werden. Anselm ist so ein Mensch. Erst umgarnt er Regine, bis die ihren Mann verlässt. Dann spinnt er einen Kokon der Hingabe um Regines Schwester Maria, die mit Thomas verheiratet ist.

Aber nur vordergründig ist Robert Musils Stück Die Schwärmer eine Ehebruchsgeschichte. Das Drama strotzt vor klugen Gedanken über das Leben und seine Möglichkeiten, vor Sätzen wie „Augen sind Hände, die man lebenslang nicht wäscht; so behalten sie die schmutzige Gewohnheit, alles anzurühren“ oder „Es ist kein Zeichen von Stärke, wenn man nie schwach wird.“ Da ist die Handlung fast zweitrangig.

Als unspielbares „Lesedrama“ wurde es oft abgetan, die Uraufführung 1929 war ein solches Fiasko, dass sich erst 1955 wieder ein Regisseur daranwagte. Dass Die Schwärmer auch auf der Bühne etwas zu sagen haben, zu diesem Beweis ist jetzt am Thalia Theater der polnische Regisseur Krystian Lupa angetreten. Ihm eilte der Ruf als Meister unspielbarer Literatur voraus. Und tatsächlich: Lupa schafft es, die Sätze in lebendige Dialoge zu verwandeln und Musils Figurenkonstruktionen als Menschen aus Fleisch und Blut zu zeigen.

In der dreieinhalbstündigen Aufführung am Thalia – seiner ersten überhaupt in Deutschland – streicht er nur minimal Textpassagen. Und trotzdem ist es viel mehr als ein Redestück. Denn neben hervorragenden Schauspielern mischen auch zwei weitere Seelenfänger mit: Licht und Musik. Stimmungen und Personenkonstellationen verschieben sich im Zwielicht, im Morgenlicht, im Dämmerlicht, im Kerzenlicht. Dazwischen immer wieder Momente in völliger Dunkelheit. Wie ein Verstärker funktioniert auch die Musik von Jacek Ostaszewski: Von pulsierend bis dröhnend untermalt sie unterschwellig bis explosiv die wechselnden Gefühlslagen.

Manchmal wähnt man sich in einem Filmmelodram: Ein Vorhang weht weich zum weit geöffneten Fenster hinein, Vögel kreischen in der Morgendämmerung, das erste Sonnenlicht wirft kurze Schatten an die Wand. Krystian Lupa, auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich, zeigt hier sein Talent zum Atmosphärischen. Doch die behaglich eingerichteten Räume mit Biedermeiermöbeln und friedlichem Landschaftsgemälde sind ein Trugbild. Nur an der Oberfläche bieten sie Schutz für die haltlos schwankenden Bewohner.

Regine (Maren Eggert), die Dünnhäutige, Flatterhafte, hüllt ihren knabenhaft schlanken Körper in ein dickes Federbett. Anselm (Thomas Schmauser), der leidenschaftliche Lügner, versteckt die Hände in den überlangen Ärmeln des Schlabberpullis. Mit ungelenken, fast spastischen Bewegungen verkörpert Thomas Schmauser einen faszinierenden Emotionsmenschen, der auch Abgründe nicht scheut, ja geradezu darauf hinsteuert. Er sucht den Schmerz, um sich lebendig zu fühlen, was so weit geht, dass er die bodenständige Maria (Sylvia Schwarz) bittet, ihm eine Zigarette in der Hand auszudrücken.

Heute würde man Anselm vielleicht abfällig als Masochisten bezeichnen, doch Musil lässt ihn elegant von Demut sprechen, der „Demut der Erkenntnis, dass schließlich doch alle Gedanken falsch sind und dass sie deshalb geglaubt werden müssen; von warmen Menschen“. Solche „warmen Menschen“, Schwärmer, waren alle auf der Bühne einmal, auch der Theorien liebende Thomas (Dietmar König), der seine Frau Maria aus Vernunftgründen gehen lässt. Nur dass alle mit ihren hoch fliegenden Idealen jenseits bürgerlicher Wertvorstellungen recht unsanft im weichen Bett der Kompromisse gelandet sind. Das kommt einem bekannt vor. Und nach der Premiere holt man noch mal das Stück hervor und liest und verliert sich darin. Auch das kann Theater.

nächste Vorstellungen: 15. + 16.12., 19.30 Uhr, Thalia

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