: »Die CDU hat viele Illusionen«
■ Interview mit dem SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt über die Verkehrspolitik seiner Partei und der Koalition/ Die SPD hofft auf einen Lernprozeß bei der CDU/ »Den Stau auflösen«, wie es 1990 die CDU gefordert hatte, kann heute keiner mehr
taz: Herr Staffelt, vor einer Woche hat Ihre Fraktion beschlossen, rund um das Brandenburger Tor keine neuen Straßen zu bauen. Jetzt haben Sie sich mit der Forderung durchgesetzt, das Tor nicht zu öffnen, mußten aber Straßenneubau akzeptieren. Zufrieden?
Staffelt: Wir haben einen tragfähigen Kompromiß gefunden, der das hauptsächliche Anliegen der SPD respektiert. Dazu gehört vor allem die Schonung des Pariser Platzes. Die Route über die Behrenstraße ist nur eine provisorische Regelung.
Als Ersatz für die Behrenstraße wollen Sie die Französische Straße durch die Ministergärten führen und eine frisch hergerichtete Grünanlage planieren...
So ist das mit den Kompromissen.
Der Effekt wird sein, daß die Busse nun nicht mehr im Stau in der Clara-Zetkin-Straße stecken werden, sondern im Stau in der Behrenstraße. Ist das ein Fortschritt?
Wir schlagen ein Einbahnstraßensystem vor. Und jede der sechs Ost- West-Straßen in diesem Bereich soll mit einer Busspur ausgestattet werden.
Hat Verkehrssenator Haase diesen neuen Busspuren schon zugestimmt?
Nein. Aber ich habe das Herrn Diepgen vermittelt, und er fand diese Idee interessant.
Vor zwei Wochen haben Sie Ihr Verkehrskonzept vorgestellt. Sie wollen dem öffentlichen Nahverkehr Vorrang geben und die Autos aus der Innenstadt verdrängen. Wer soll Ihnen denn die nötigen Mehrheiten für diese Forderungen verschaffen? Die CDU kann es ja kaum sein.
Solange wir keine absolute Mehrheit haben, müssen wir mit dem jeweiligen Koalitionspartner Kompromisse schließen. Unser Verkehrskonzept ist aber unser roter Faden und auch unsere Verhandlungsgrundlage mit der CDU. Das Problem ist ja, daß es in der CDU noch eine Vielzahl von verkehrspolitischen Illusionen gibt. »Den Stau auflösen«, wie das die CDU 1990 im Wahlkampf gefordert hat, das kann in Berlin heutzutage keiner mehr. Nur durch eine Verringerung des PKW-Verkehrs können wir die nötige Mobilität im Stadtzentrum sicherstellen.
Um so mehr drängt sich der Eindruck auf, daß Sie zumindest in der Verkehrspolitik in der falschen Koalition sitzen.
Einige verkehrspolitisch vernünftige CDU-Mitglieder wie Umweltsenator Hassemer haben aber bereits akzeptiert, daß es nicht möglich ist, durch irgendwelche Straßenbauten den Verkehr wieder zum Fließen zu bringen. Wir hoffen auf einen Lernprozeß bei der CDU. Deshalb muß die verkehrspolitische Diskussion offensiv geführt werden, um die CDU von ihren verkehrspolitischen Ladenhütern abzubringen.
Verkehrssenator Haase schwenkt nicht ein. Entgegen Ihren Forderungen hat er letzte Woche angekündigt, einige Staßenbahnlinien im Ostteil abzuschaffen, zum Beispiel in der Friedrichstraße. Hätten Sie sich von Haase nicht gewünscht, daß er Ihr Verkehrskonzept etwas ernster nimmt?
Sicher. Aber ich weiß gar nicht, ob das eine Frage des Ernstnehmens ist. Eher ist es die Frage, ob in der Senatsverkehrsverwaltung konzeptionell und zukunftsorientiert gedacht und gearbeitet wird.
Das fehlt Herrn Haase?
Ich habe manchmal meine Zweifel, ob er wirklich die Berater hat, die ihm diese Dimension eröffnen. Aber ich bin ja schon zufrieden, daß Herr Haase überhaupt mal ein Konzept vorgestellt hat. Damit kann man sich wenigstens auseinandersetzen.
Nun meint der grüne Abgeordnete Michael Cramer, auch die SPD-Fraktion würde ihr eigenes Konzept nicht so schrecklich ernst nehmen. Er weist darauf hin, daß die große Koalition in diesem Jahr für die Straßenbahn nur 35 Millionen Mark bereitgestellt hat, im nächsten sollen es sogar nur 24 Millionen sein — von einer Gesamtsumme für Verkehrsbauten von über einer Milliarde Mark.
Über die Investitionen für 1992 ist im Parlament noch nicht endgültig entschieden. Die Priorität hat nach wie vor der S-Bahn-Bau, zum Beispiel die Verbindungen ins Umland.
Dafür hatte Ihr Bausenator Wolfgang Nagel schon zwei Jahre Zeit. Bisher ist noch keine einzige Umlandverbindung in Betrieb.
Das müssen Sie den Bausenator fragen.
Sie fordern, daß Autofahrer in der Innenstadt innerhalb des S- Bahn-Rings nur noch dann parken dürfen, wenn sie eine BVG-Umweltkarte hinter der Windschutzscheibe haben. Bis wann wollen Sie diese Idee denn verwirklichen?
Im August hat der Senat die Senatoren Hassemer, Haase, Meisner und Nagel beauftragt, ein Parkraumbewirtschaftungskonzept zu entwickeln. Bisher fehlt es. Erst kürzlich habe ich es wieder angemahnt. Wenn der Senat dem SPD-Konzept nicht folgen will, muß er ein alternatives Konzept gegenüberstellen. Ich sage ja nicht, daß unser Konzept das einzig seelig machende ist. Aber ich glaube, daß ein System mit Parkuhren und Parkscheinautomaten viel zu kompliziert wäre. Es wäre auch bei weitem nicht so intelligent im Sinne eines Angebotes an die Autofahrer. Bevor die Autofahrer in die Innenstadt fahren, könnten sie sich bei unserem Modell ja jeden Morgen entscheiden, ob sie mit ihrer Umweltkarte nicht besser die BVG benutzen wollen.
Im Moment wird der Autofahrer nicht zum Umsteigen eingeladen. Die BVG dünnt ihr Angebot aus, auf einigen Buslinien zum Beispiel.
Damit werden wir uns nicht zufriedengeben. Es gibt drei Schrauben, an denen Sie drehen können, um den Betrieb von BVG und BVB kostengünstiger zu machen. Entweder wir dünnen die Leistung aus, oder erhöhen die Tarife oder versuchen, im Betrieb selbst zu rationalisieren.
Unter der CDU/SPD-Koalition wurden bisher nur die ersten beiden Möglichkeiten gewählt: Die Tarife wurden erhöht, die Leistung eingeschränkt.
Die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst haben auch die Kosten bei BVG und BVB erheblich gesteigert. Und bei der BVG sind 70 Prozent aller Kosten Personalkosten.
Der Kunde sieht nur, daß der Fahrschein teurer ist und der Bus seltener kommt.
Das betrifft aber nur ganz bestimmte Linien.
Konnten Sie Ihre Parteifreunde im Personalrat der BVG schon von Ihren Rationalisierungsplänen überzeugen?
Wir haben oft darüber geredet. Die Personalräte selbst arbeiten an Vorschlägen. Mein Vorwurf ist, daß der Verkehrssenator kein Konzept hat, das der BVG-Geschäftsleitung und der Arbeitnehmerseite in Sachen Rationalisierung den Rücken stärkt. Interview: Dirk Wildt/
Hans-Martin Tillack
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