: Die Bundesbank schmiert das Wachstum
■ Zentralbankrat senkt erneut Leitzinsen / Wirtschaftsministerium gibt optimistische Konjunkturprognose / Die Arbeitslosigkeit steigt weiter an
Bonn/Frankfurt a.M. (dpa/taz) Die Bundesbank senkte gestern entgegen den Erwartungen der meisten Finanzexperten die Zinsen erneut. Diesmal ging der Zentralbankrat mit dem dritten Leitzins, dem Satz für Wertpapierpensionsgeschäfte, um ein viertel Prozent auf 6,0 Prozent nach unten. Mit Wertpapierpensionsgeschäften können sich die Kreditinstitute kurzfristige Gelder bei der Bundesbank beschaffen. Die Bundesbank hat sich dabei bis in den Januar festgelegt. In Finanzkreisen geht man nun davon aus, daß sich der Trend fortsetzt und der Zentralbankrat auf seiner letzten Sitzung in diesem Jahr noch einmal auch die mittelfristigen Zinsen, den Lombard- und den Diskontsatz, zurücknimmt. Das wäre dann das achte Mal in diesem Jahr.
Eine Begründung für ihre Entscheidung gaben die Zentralbanker nicht. Experten meinen jedoch, daß dieser Schritt in die „schlechte konjunkturelle Landschaft“ passe. Bei der Bundesbank scheint man nämlich nicht davon auszugehen, daß die Wirtschaftskrise bald zu Ende ist. Ein höheres Geldmengenwachstum ist nicht wahrscheinlich, die Inflation läßt nach. Da kann selbst die vorsichtige Bundesbank die Zinsen senken, in der Hoffnung, daß durch verbilligte Kredite endlich das Wirtschaftswachstum anzieht.
Das Bundeswirtschaftsministerium sieht derweil die wirtschaftliche Lage ganz anders. Wegen verbesserter Wirtschaftsdaten „in jüngster Zeit“ geht das Ministerium für 1994 von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um durchschnittlich ein halbes bis ein Prozent aus. In diesem Jahr schrumpft das BIP um zwei Prozent. Die ostdeutsche Wirtschaft werde sogar um sieben bis acht Prozent zulegen nach sechs Prozent im laufenden Jahr.
Daß das Wachstum, sofern es denn eintritt, zu mehr Beschäftigung führt, glaubt auch im Wirtschaftsministerium niemand. In Westdeutschland sei im nächsten Jahr mit weiteren 400.000 Arbeitslosen zu rechnen – in diesem Jahr haben sich 500.000 Menschen in das Heer der Arbeitslosen eingereiht. Die Verkürzung der Arbeitszeit bei unterproportionaler Verringerung der Löhne wie bei VW bezeichnete Wirtschaftsstaatssekretär Johann Eekhoff als „ungeeignetes Rezept zur Lösung der Beschäftigungsprobleme“.
Nun müsse vor allem die Finanzpolitik Vertrauenssignale für Investoren und Konsumenten aussenden, erklärte Eekhoff. Damit meint er, daß das Sparpaket der Bundesregierung von 21 Milliarden Mark ohne Abstriche umgesetzt werden soll. Über die Einsparungen wird heute im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat verhandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen