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„Die Bude vollkriegen“

■ Gunnar Dreßler wird wohl neuer Chef der Kammerspiele / Der Anspruch, kleines Staatstheater zu sein, ist auf jeden Fall vorbei

„Es wäre unser Wunsch, daß Herr Dreßler das macht.“ In diesem Punkt ließ die Aussage von Jürgen Hunke auf der gestrigen Pressekonferenz über die Zukunft der Hamburger Kammerspiele nichts offen. Er und Dirk Schmidt-Prange, die beiden Gesellschafter des traditionsreichen Hauses, wollen Gunnar Dreßler von der nächsten Spielzeit an als künstlerischen Leiter haben, so stand es ja bereits schon in diversen Zeitungen (auch in der taz).

Dreßler selbst ist auch alles andere als abgeneigt. Er hat der Hamburger Kulturbehörde bereits ein künstlerisches Konzept vorgelegt, die wiederum hat bereits zugesagt, es mit Subventionen in bisheriger Höhe (etwa 1,5 Millionen Mark) zu unterstützen. Also alles klar?

Noch nicht ganz. Offenbar stecken die Herren Hunke, Schmidt-Prange und Dreßler noch in letzten Vertragsverhandlungen. Während also die Unterschrift unter den Vertrag des neuen Künstlerischen Leiters der Kammerspiele doch noch nicht trocknet (daß Dreßler die Situation, einziger ernsthafter Kandidat zu sein, zu Nachforderungen nutzt, spricht nicht unbedingt gegen seine Leitungsqualitäten), ist eines bereits sicher: Die Kammerspiele wird es in der bisherigen Form nicht mehr geben.

Lange Zeit hatte man sich dort an den Staatstheatern orientiert – allerdings ohne deren Etats und Möglichkeiten. Nach Ende der Ära Ida Ehre hatte die Nachfolgerin Ursula Lingen diese Orientierung aufrechterhalten. Großen Erfolg hatte sie nicht, nach nur einem Jahr ging sie in Konkurs. Ihr Nachfolger wiederum, Stephan Barbarino, hielt – zumindest den Worten nach, tatsächlich hat er nie überzeugen können – auch am Kunstanspruch fest, wiederum ohne Glück: Er hätte auch pleite gemacht, wenn nicht besagte Jürgen Hunke und Dirk Schmidt-Prange als Retter in höchster Not eingesprungen wären. Vor allem der Name Hunke wirkte zwar auf kulturellem Gebiet alles anderes als seriös, aber als er Gerd Schlesselmann, den vormaligen Übergangsintendanten des Hamburger Schauspielhauses, als künstlerischen Leiter aus dem Hut zauberte, waren auch die kritischen Gemüter fürs erste beruhigt.

Nur hatte Schlesselmann eben auch keinen Erfolg. Die wenigen Zuschauer kamen sich die meiste Zeit über im Parkett recht einsam vor. Und es mag zwar stimmen, daß Schlesselmann sich an der Qualität des Staatstheaters orientierte, nur eben an dem des Schauspielhauses, wie es unter seiner Leitung ausgesehen hatte, und da hatte es künstlerisch nicht eben seine beste Zeit.

Jetzt wird also alles anders. Wie wird es? So wie Hunke gestern sein Konzept vorstellte, bekam man den Eindruck: Er will die eierlegende Wollmilchsau. Die Räume sollen umgebaut werden, Cafés sollen hinzukommen, ein zweiter Theaterraum auch und dann noch ein dritter Raum für Lesungen. Menschen sollen sich treffen, kreativ sein, kommunizieren können. Der Erlös aus der Gastronomie soll die chronische Unterfinanzierung des Theaters ausgleichen. Natürlich sagte Hunke auch, der Schwerpunkt solle weiterhin auf dem Theater liegen, aber das zu sagen kostet auch nicht viel. Ansonsten gestand Hunke in liebenswerter Offenheit, was er von dem zukünftigen künstlerischen Leiter erwartet: „Er soll die Bude vollkriegen.“

Und was will Dreßler? Zunächst wollte er sich nicht äußern, nach dem Vertragsabschluß lege er sein Konzept vor, Sie verstehen? Was er dann doch noch sagte, klang verdammt danach, daß er das Konzept des Theaters in der Basilika auf die Kammerspiele übertragen möchte. Kernzielgruppe: die 30- bis 40 jährigen (dafür soll das Publikum der Basilika etwas jünger werden), zeitgenössische Stücke, aktuelle Themen. Hört sich erst mal nicht unbedingt schlecht an, besagt aber nicht viel. Nicht alle 30jährigen pflegen hohe Theateransprüche (es sind wohl eher die wenigsten); zeitgenössische Stücke können auch fürs Boulevard geschrieben sein, und aktuell sind auch die ewigen Themen: Herzeleid, Liebelei, Beziehungsstreß.

Schaun mer mal, was rauskommt. Eins zumindest machten sowohl Hunkes als auch Dreßlers Aussagen bereits klar: Seit gestern sind die Hamburger Kammerspiele voll und ganz ein Privattheater. Und das bedeutet nun mal: keine Orientierung an der Kunst, sondern an der Kasse, Mischkonzept (zwei, drei Zugnummern, dann wieder Theaterkunst), gastronomisches Umfeld. Eine andere Chance haben die Kammerspiele nicht mehr. Es sei denn, es findet sich ein anderer Financier. Oder jemand, der wie Gunnar Dreßler das Haus füllen kann, nur eben mit Kunst. Nur Zeit, ihn zu suchen, gibt es eben auch nicht mehr.

Dirk Knipphals

Siehe auch Kommentar auf Seite 21

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