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Die Buchmesse boomt, das Leseinteresse sinkt

Mehr Aussteller denn je auf der Frankfurter Buchmesse / Die Kulturnation Frankreich steht thematisch im Mittelpunkt / In den Hitlisten der Händler haben die Politiker die Dichter verdrängt / Kohl philosophiert über das kulturelle Angebot an die Reformer im Osten  ■  Mathias Bröckers

Frankfurt (taz) - Neue Rekorde meldet der Börsenverein des Buchhandels von der 41.Frankfurter Buchmesse, die am Dienstag abend für die Fachbesucher eröffnet wurde und ab Freitag auch für die großen LeserInnenmassen offensteht: Erstmals zeigen in Frankfurt über 8.000 Aussteller ihre Bücher, das sind 2,8 Prozent mehr als auf der Rekordmesse des Vorjahrs. Doch fehlt es trotz dieser hohen Zahl der Aussteller auch dieses Jahr nicht an Hinweisen, daß es sich beim Kulturgut „Buch“ um eine bedrohte Art handelt: die Zahl der Bundesbürger, die mindestens einmal pro Woche in einem Buch lesen, ist in den letzten zehn Jahren drastisch gesunken, von 71 auf 48 Prozent.

Das hat natürlich mit der elektronischen Medienkonkurrenz zu tun, doch nicht ganz unschuldig daran ist vielleicht auch die Orientierungslosigkeit auf dem Literaturmarkt: ein neuer Trend oder gar ein neuer Stern am deutschen Bücherhimmel ist auch in diesem Jahr nicht in Sicht und in die Lücke, die die Dichter hinterlassen, sind offenbar die Staatsmänner gesprungen. Die Politiker-Prosa von Franz-Josef Strauß, Willy Brandt und Lothar Späth wurde (neben John le Carres neuestem Thriller) von den bundesdeutschen Verlegern auf die Gretchenfrage nach dem Knüller der Saison am häufigsten genannt.

Nach Italien ist in diesem Jahr Frankreich der Schwerpunkt der Messe, in der zum edel dekorierten „Blauen Pavillon“ verwandelten Kongreßhalle präsentiert sich das französische Verlagswesen mit Diskussionsveranstaltungen, Autorenlesungen und Unterhaltung, das „Deutsche Filmmuseum“ feiert den Ehrengast Frankreich mit einer Filmreihe, in den Theatern der Stadt gibt es lange Nächte mit Lyrik und Erzählungen und natürlich, an unzählbaren Ausstellungsständen, Literatur zum Geburtstag der Französischen Revolution. Auf deren Erbe, vor allem in Hinsicht auf die Länder Osteuropas, die es jetzt mit dem Ruf nach Freiheit anzutreten scheinen, verwiesen Kanzler Kohl und Frankreichs Kulturminister Lang in ihren Eröffnungsreden am Dienstag: „Wenn unsere Freunde im Osten sich nach und nach aus der Zwangsjacke verdorrter Ideen befreien, was haben wir ihnen dann zu bieten?“, fragte Jack Lang. „Sollen wir ihnen sagen: 'Willkommen im Land der Rentabilität um jeden Preis! Willkommen im Land des Konformismus!‘ Oder sind wir fähig, mit ihnen gemeinsam ein neues Kultur- und Lebensmodell zu schaffen?“

Diese Frage mußte der Kulturminister offen lassen; was freilich Preise und Rentabilität im Buchgewerbe angeht, war er sich mit Helmut Kohl einig, daß man „einen Sieg errungen“ habe: Dank deutsch-französischer Gemeinsamkeit sei die europäische Buchpreisbindung gesichert. Das Kulturgut Buch wird also vor der Hydra eines gesamteuropäischen Markt-, Konkurrenz- und Konzentrationsprozesses vorerst geschont bleiben.

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