: Die Brühe des Ressentiments
betr.: „Ein hässliches Spiegelbild“, taz.mag vom 23./24. 2. 08
Es ist schon beeindruckend, mit welcher Penetranz Jens Feddersen seine Seitenhiebe auf „68“ unterzubringen versteht. Seine Lieblingsthese: Nicht den 68ern verdanken wir, dass „aus Deutschland ein zivilisiertes Land wurde“, sondern den „Aufständischen der Fünfziger“, den jugendlichen Elvis-Fans und Lederjackenjungs sowie liberalen Intellektuellen à la Richard Löwenthal.
Ich darf mich mal an die fünfziger und frühen sechziger Jahre, an meine Schülerzeit erinnern. An die Grundschule mit Marschformationen der Kleinen auf dem Schulhof, mit Schlägen auf die Fingerspitzen, mit Zwirbeln an den Ohrläppchen, mit dem „in die Ecke stellen“. An die Oberschule, in der der Deutschlehrer darüber diskutieren ließ, ob man die Aufführung von Stücken des Kommunisten Brecht nicht verbieten müsse; in der der Religionslehrer verhinderte, dass die Klasse sich Lessings „Nathan der Weise“ im Theater ansah oder „Katz und Maus“ von Grass als pornografische Schweinerei galt.
Und ich darf mich an die Zeit als Junglehrer nach 1968 erinnern. An die Auseinandersetzung mit Schülereltern, die in den fünfziger Jahren sozialisiert worden waren. Die die Abschaffung eines Lehrbuchs forderten, weil es vereinzelte Zitate von Marx enthielt. Die das Schamgefühl ihrer Kinder durch das Sprechen über Sexualität verletzt sahen, die sich gegen Faschismusanalysen und die Überfrachtung des Unterrichts mit der Holocaust-Thematik wehrten (Auseinandersetzung mit dem Holocaust nach Feddersen erst Ende der 70er Jahre und das durch eine amerikanische TV-Serie – ich fass es nicht!). Die um die Wehrkraft fürchteten, weil es Unterrichtsdiskussionen über Aufrüstung gab.
Und die taz? Kein Produkt von „68“, sondern eins der „Aufständischen der Fünfziger“? Ein tolles Selbstverständnis, das ihr da indirekt von eurem Starjournalisten entwickeln lasst. Der den Unterschied zwischen faschistischer Bewegung 1933 und sozialistischer Studentenbewegung 1968 – beide gleichermaßen totalitär – lediglich darin erkennt, dass die Machtergreifung Letzterer dank des „freiheitlichen Zeitgeistes“ glücklicherweise verhindert worden sei. Und der zum Schluss sich in der Behauptung gefällt, er habe „nix“ gegen die 68er, während doch aus all seinen Zeilen die Brühe des Ressentiments fließt. MICHAEL STOFFELS, Kempen
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