: Die Botschaft hör‘ ich wohl
Martin Fendrich inszeniert seine eigene Mischung aus Goethes Faust und John Miltons „Paradise Lost“. Satan ist weiblich und saugt ihr biederes Opfer aus. Eine geniale Suche nach dem Bösen, nach der jeder zum Flammenschwert greifen sollte
von PETER ORTMANN
Die Erde ist schön. Die Brandung brandet. Das klare Wasser gurgelt per Zeitlupe im Video. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan. Denkste. Manchmal reißt es auch hinunter. Satan könnte ja auch weiblich sein. Bei Martin Fendrich ist das so. Er inszeniert in den Herner Flottmann-Hallen Goethes Faust im verlorenen Paradies. Mit Lena Schwarz als Mephisto und Margarete, Ralf Dittrich als Doktor Faust und Wolfram Koch als Stimme Gottes – der Schauspielstar leider nur aus dem Off. Dennoch ist es eine Produktion, die wegen Fendrichs Lieblingsschauspieler wohlig nach Leander Haussmann-Zeiten am Bochumer Schauspielhaus riecht und eigentlich auch dorthin gehörte, ins ZadEck, wo sich das Duo Schwarz und Dittrich schon einmal künstlerisch von Fendrich strapazieren ließ. Vor zwei Jahren mit Oscar Wildes Salome am Abendbrottisch. Die Zeiten sind vorbei, doch tut die Erinnerung gut und das hat etwas mit Qualität zu tun, nicht mit Nostalgie oder Sentimentalität. Oder doch?
Schluss damit, ab nach Herne. Gottes Armee hat dort die Schlacht gerade gewonnen. Satan hat verloren. Sie kommt ans Holzkreuz im roten Licht der Hölle, windet sich an rohen Stricken. Die Rebellin will einfach nicht aufgeben, sucht nach neuen Strategien gegen Gott und findet den unzufriedenen Dauerstudierer Faust. Metatron Koch rezitiert aus John Miltons (1608-1674) Epos „Das verlorene Paradies“.
Der Regisseur hat dessen jambisches Ringen um die Wiederherstellung des Idealzustandes der Welt mit der faustischen Suche nach Allwissenheit in Knittelversen gemischt. Die Reise führt tatsächlich vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Und das in einem genialen Bühnenbild (Uwe Marx): ein liegendes, riesiges Holzkreuz mit Klappgrab und Fußabtreter am Anfang. Reinlichkeit ist eben Christenpflicht, selbst wenn eigentlich viel Blut fließt und ab und an mal Bücher im Video verbrannt werden. Das Böse ist immer und überall, für Milton saß es in der Schlange, mit der die Vertreibung aus dem Paradies begann. Eine Zeit lang dachte man, es säße in Moskau. Also Tape Nationalhymne Russland raus, nur ein paar Takte. „Mach den Scheiß aus“, sagt Mephisto. Ein Lacher fürs Volk. Für den perfekt biederen Dittrich-Faust brechen dagegen harte Zeiten an. Für den Pakt Eden auf Erden gegen Dienstleistung in der Hölle wird Faust vom Teufel in Frauengestalt ausgesaugt, kriegt die Margarete, darf sie schwängern, ihren Bruder Valentin erschießen.
„Wie hältst du‘ s mit der Religion?“ Auch die berühmte Gretchen-Frage kommt immer wieder. Und der Doktor mit seinem ganzen PISA-Wissen redet sich immer wieder raus. Ihn quält die Schande der unschuldigen Margarete. Mephisto treibt es hin und her. Der Doktor solle gefälligst etwas entspannter an die Dinge herangehen.
Und dann sind die schmalen 90 Minuten, in der sich Lena Schwarz wieder fast ums Leben performte, auch schon fast um. „Oh wär‘ ich nie geboren!“ sagt Faust. Margarethe graut‘s wie üblich, wird gerichtet, nein, natürlich nicht: gerettet. Sagt jedenfalls Wolfram Koch aus dem Off, ist ja auch Goethe im Original. Dann deklamiert er noch mal die Versuchung Jesu durch den Teufel. Irgendwie hat man das Gefühl, man müsse raus mit dem Flammenschwert und selbst gegen das Böse kämpfen. Regisseur Fendrich zeigt katholische Haltung und inszeniert sie mit köstlicher Gummi-Kobra für Lena Schwarz mit wunderbaren Bildern in ausgezeichneter Lichtregie.
Ein wenig schlaff war diesmal nur der Soundtrack, dennoch ist das kein Makel, der ein Wiedersehen bei den diesjährigen ersten Tom Stromberg-„Impulsen“ verhindern sollte. Fendrichs Suche nach dem Bösen muss weitergehen, schon weil wir alle böse sind. Doch das Böse hat auf diesem Planeten meist immer einen schnöden materiellen Hintergrund. Das ist nichts für ein Flammenschwert, eher für eine Guillotine. Gut, dass gerade wohl eine neue Erde gefunden wurde. Ein bisschen weit weg und mit roter Sonne. Also nichts für Katholiken.
28.4, 20:00 Uhr, Flottmann-Hallen, Herne; Infos: 02323-162953