piwik no script img

Die Blechbüchsenflottille

■ Luigi Colani meets Netzhemd: "UFO", eine Serie aus der Zeit, als die Aliens noch böse waren, täglich um 16 Uhr, Sat 1, Wirderholungen im Nachtprogramm

Der gelernte Stukkateur Gerry Anderson verkrümelte sich 1958 nach Berufserfahrungen in fast allen Bereichen des Films in ein ehemaliges Lagerhaus, um eigene Projekte auszuhecken. 1.500 Eierkartons machten aus der Halle ein schalldichtes Aufnahmestudio. Mit nur 500 Pfund Startkapital, aber einer Menge technischem Geschick und vor allem sehr viel Phantasie kreierten Gerry und seine Frau Sylvia Anderson Puppenserien für das Kinderprogramm des britischen Kommerzfernsehens. In den 60ern lancierten sie einige Serien um futuristische Autos, Amphibienfahrzeuge und Raumschiffe, darunter auch die bis heute kultisch verehrten „Thunderbirds“, die Fluggeräte des altruistischen Tracy-Clans.

Alle diese utopischen Serien kamen ohne menschliche Darsteller aus. Das avancierte „Supermarionation“-Verfahren erlaubte die Darstellung selbst verzwicktester Handlungsabläufe. Dennoch blieb die Herstellung der Marionettenfilme mühsam; auch waren die einschlägigen Themen allmählich ausgeschöpft. Anderson wechselte zur Schauspiellerregie, zunächst mit dem Kinofilm „Unfall im Weltraum“, dann mit der Science-fiction-Serie „UFO“, bei der einige Requisiten des Spielfilms erneut Verwendung fanden.

Von heutiger Warte verfolgt man „UFO“ mit einigem Ergötzen. Entstanden anno 1970, spielte die Serie in allernächster Zukunft: im Jahr 1980. Die aggressiven Attacken mysteriöser Flugobjekte beunruhigen irdische Administrationen. Zwecks Abwehr der Außerirdischen wird eine multinationale klandestine Raumfahrtorganisation ins Leben gerufen: die „Supreme Headquarters Alien Defence Organisation“, kurz SHADO. Die Piloten der kreiselnden außerirdischen Blechbüchsenmodelle sieht man selten. Dafür entschädigt die futuristisch gemeinte Optik der „SHADO-chaser“. Die Herren im Hauptquartier tragen entzückende Rundschnittfrisuren, die Damen der Mondstation mauvefarbene Catsuits. Auch die männlichen U-Boot-Besatzungen geizen nicht mit ihren Reizen und peitschen mit schultergepolsterten, freizügigen Netzhemden die Sinne auf. Autos und Interieur sind zumeist in stromlinienförmiges Plastik gegossen und sehen aus, als ob Luigi Colani das Produktionsdesign gestiftet hätte. Der ganze technische Firlefanz flackert und flimmert, daß es nur so eine Art hat. Schließlich kostete jede Episode 100.000 Pfund, und das sollte man auch sehen.

Nach 26 Folgen „UFO“ sprengte Gerry Anderson die Mondstation ab und schickte sie ins All hinaus. Titel der neuen Serie: „Space 1999“ („Mondstaion Alpha“). Harald Keller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen