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Die Betrogenen von Wimbledon

Der honorige Tennisclub mischt auf dem Schwarzmarkt mit und die Fans queuen stundenlang ohne Erfolg  ■  Aus dem Hl. Klo B.Müllender

Wimbledon ist einfach wunderbar: so einzigartig antiquiert, borniert-konservativ, so liebenswert von vorgestern. Verquer und verwinkelt im Denken wie in der abenteuerlichen Architektur der Anlagen. Wenn man beispielsweise von seinem Journalistenstühlchen im Presseraum zur Toilette muß, führt der kürzeste Weg über zwei Treppensysteme, durch zehn Türen, vorbei an drei wichtig dreinschauenden Gruppen von Wachmenschen nach insgesamt 18 Richtungswechseln zur nächsten Pißrinne. Dort fragt man sich dann erleichternd, warum die große Geschichte Britanniens offenbar nicht einen einzigen vernünftigen Baumeister hervorgebracht hat. Die Stadionanlagen des Tennismekkas sind ein solches Labyrinth, daß sich selbst John McEnroe, immerhin schon zum elften Mal dabei, Ende vergangener Woche hoffnungslos verlief, und jemanden fragen mußte: „Where the hell am I?“

Genauso kompliziert wie die Innereien von Wimbledon sind die dunklen Wege, über die man an die heißbegehrten Eintrittskarten kommt. Oder eben nicht kommt: Jeden Tag spielen sich im noblen Londoner Vorort Szenen ab, die man fast nur glauben kann, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat. Abertausende von TennisenthusiastInnen aus dem United KingQueendom stehen zusammen mit kartenlos Angereisten aus aller Welt Schlange. In stoischer britischer Ruhe, Stunde um Stunde. Jeden Tag windet sich der Wurm der Wartenden mindestens zwei Kilometer weit, nach edler Art der Insulaner in Zweierreihe einer nach dem anderen, durch Sträßlein, in wüsten Windungen über riesige Parkplätze und Brücken.

Der Dumme ist der Elf-Uhr-Mensch

Es geht um „groundtickets“: Stehplätze im Getümmel für DM 18 aufwärts. Die ersten waren schon am Abend hier, manchmal für den übernächsten Tag. Fliegende Händler sorgen für das leibliche Wohl und verkaufen Souvenirs, eine Combo spielt zur Gitarre, man plauscht, und trippelt gelegentlich vorwärts. Faustregel dieses Jahr: Wer sich nicht um neun Uhr angestellt hatte, wird gegen zwei leer ausgegangen sein. Aber auch die Elf-Uhr-Menschen sind guter Dinge. Bentleys und diverse Rolls schweben vorbei und spucken die betuchten Insassen mit den Centre Court-Tickets aus.

Schon in der Schlange sind Offizielle des All England Lawn Tennis Club immer präsent. Sie patrouillieren mit riesigen Pappschildern und den neusten Hinweisen und verteilen kleine Aufkleber „I've queued at Wimbledon 1989“: Ich habe in Wimbledon 1989 Schlange gestanden. Für viele bleibt dies die einzige Erinnerung, denn irgendwann sind alle 36.000 Eintrittskarten weg, und geduldig ziehen Tausende von Übriggebliebenen wieder dahin. Das Volk, es murrt nicht, nicht ein einziger schimpft. Morgen ist auch noch ein Tag, versuchen wir's halt zwei Stunden früher.

Preiswerte Obligationen

Dabei gibt es andere Wege. Man versuche sein Glück über die Lotterie, die der Wimbledon-Club jedes Jahr veranstaltet, um die Hunderttausende von Kartenwünschen zu bewältigen. Oder aber: Man treibe runde 58.000 Mark auf, und kaufe sich damit eine Fünf-Jahres-Obligation. Die läßt sich erstens fast komplett von der Einkommensteuer absetzen, und zweitens bekommt man dafür Karten für alle Spiele garantiert, die besten auf dem Centre Court, versteht sich. 2.100 solcher Obligationen verkauft der Club, das sind schon Einnahmen von 20 Millionen pro Jahr. Darlehen so angenehm zinslos zu bekommen, zählt zusätzlich bei 14 Prozent derzeit im geldknappen Kingdom. Die Idee stammt im übrigen bereits aus dem Jahr 1920, als man, mit damals lächerlichen 50 Pfund, den Bau der heutigen Anlagen clever vorfinanzierte.

Doch an dieser Stelle beginnt die Karten-Geschichte von Wimbledon erst interessant zu werden. Woher nur kommen die Zeitungsangebote „Alle Wimbledon-Tickets zu verkaufen für VIP-Kunden“, „Beste Plätze, Diskretion selbstverständlich“ oder Kombinationen mit Sex-Shows für Übersee-Klienten oder das Komplett-Paket Cadillac-Leihwagen, feinste Verköstigung und eben „Obligationen-Tickets“. als „Dial-A-Ticket“ im 24 -Stunden-Service. Natürlich: der Gegenwert für die Finanzierung ist längst auf dem Schwarzmarkt gelandet, manche Club-Finanziers sind selbst Black-market-Profis, bei denen dann die Endspiele allein vierstellig kosten.

Aber, neuerdings ist auch der hochfein-vornehme Tennisclub selbst doppelt im Geschäft. Die Devise: wenn du die Schwarzmarkthaie nicht ausschalten kannst, werde selbst einer. So schrieb der Club in diesem Jahr alle Zeichner von Obligationen an, man sei freundlicherweise bereit, die Karten für den zehnfachen Nennwert zurückzukaufen (180 bis 1.300 Mark das Stück). Der Rücklauf von - nach offiziellen Angaben - einigen Hundert Karten ging, natürlich, nicht an die Kassen für die ergeben Wartenden, sondern dient als zusätzliche Verhandlungsmasse mit den fast 50 Konzernen, die im Platzbereich ihre noblen Stände und Repräsentationszelte plaziert haben. Und die wiederum verkaufen sie selbst schwarz. Der Schwarzmarkt blüht weiter, auch und gerade mit dem neuen offiziellen Zwischenhändler.

Um so lächerlicher und doppelzüngiger war ein Vorfall vom Samstag: Die Niederländerin Nicole Jagerman hatte sich erdreistet, ihr Freiticket einem Fan für zehn Pfund zu verkaufen. Argusäugige Club-Wächter, von denen unglaubliche Mengen herumlaufen, hatten sie beobachtet, den Vorgang gemeldet und damit eine Untersuchung ausgelöst. Gnädigerweise verzichtete ein Vereinsrat von Weisen auf eine Be- strafung und bezichtigte die Spielerin nur der „Naivität“. Eine gelungene Formulierung: bei mickrigen zehn Pfund.

So werden um der mehrschichtigen Geldschneiderei und der gelungenen Steuerreduzierung reicher Tennisignoranten willen jeden Tag Tausende von Fans vor den Toren abgewiesen. Mit diesem Wissen muß sich jeder Journalist, der aus noch so unerfindlichen Gründen und Auswahlprozeduren aus den zahllosen Fürbitten um Akkreditierung zufällig auserwählt und nicht ausgesondert wurde, mit jedem einzelnen Tröpfchen glücklich schätzen, wenn er einmal in seinem Leben für würdig befunden worden ist, in die heiligen Latrinen des „All England Lawn Tennis Clubs“ einzutreten - und wären es auch Hunderte von Treppenwindungen, Türen und Sicherheitsoffizieren.

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