: Die „Berner Unruhe“ regt sich wieder
■ Tausend Jugendliche in der Schweizer Hauptstadt feierten im früheren AJZ „Alte Reitschule“ ein Fest und fordern ein Jugendzentrum - „subito“ / Nachdem die Polizei sie aussperrte, folgte ein Sturm aufs Theaterfoyer / Demo für nächsten Sonntag angekündigt
Basel (taz) - Die Parolen, die am Wochenende durch die Berner Altstadt hallten, waren nicht neu: „AJZ subito“, skandierten etwa 300 Demonstranten auf ihrem Zug zum Stadttheater. Die Demo ließ ein für Schweizer Behörden altes Schreckgespenst wieder auferstehen: Die „Jugendunruhen“ von 1980. Begonnen hatte das „bewegte Wochenende“ (so der konservative Berner Bund) recht friedlich. Rund tausend Personen besetzten am Samstag abend die „alte Reitschule“ in der Schweizer Hauptstadt. Innerhalb kürzester Zeit bauten Aktivisten und Aktivistinnen Verstärkeranlagen und eine Bar auf. Bis morgens um fünf Uhr spielten Bands zum Tanze auf. Die Berner Polizei, vor wenigen Monaten wegen ihres harten Vorgehens gegen Anti–AKW–Demonstranten von der Öffentlichkeit streng gerügt, hielt sich während der ganzen Nacht zurück. Erst im Morgengrauen, als alle Besetzer die Reitschule freiwillig geräumt hatten, riegelte die Polizei das Gebäude ab. Die mit Tränengas und Helmen bewaffneten Einheiten weigerten sich am Sonntag nachmittag, die Reitschule für eine Vollversammlung der Besetzer wieder zu öffnen. Beim anschließenden Protestzug durch die Innenstadt bewarfen die 300 Demonstranten verschiedene Gebäude mit Farbbeuteln. Fensterschreiben gingen zu Bruch und im Stadttheater kam es zu einem Handgemenge. Die Polizei griff vereinzelt ein, verhielt sich aber eher vorsichtig. Die Auseinandersetzungen um die „alte Reitschule“ dauern schon seit Jahren an. Bis 1982 diente der Gebäudekomplex als AJZ. Nach dessen Schließung bewachten Polizisten den Gebäudekomplex während eines Jahres rund um die Uhr. Seither wurden die Räumlich keiten des ehemaligen AJZ nicht mehr benutzt. Vertreter der alternativen Kulturszene kämpften während Jahren vergebens um eine Neueröffnung der „Reiterschule“. Die Stadtbehörden versteiften sich immer mehr auf ihr Vorhaben, den Gebäudekomplex abzureißen. Die Veröffentlichung eines Abbruchgesuches hat schließlich die Besetzung vom Samstag provoziert. Ob das „Berner Wochenende“ ein Auftakt zu neuen harten Auseinandersetzungen signalisiert, ist schwer auszumachen. Dani von Rüti, Mitglied der Interessengemeinschaft Kulturraum Reit schule, findet in der heutigen „Bewegung“ eine „andere politische Kultur“ als noch vor ein paar Jahren. Zu Unruhen im Stile von 1980 werde es daher kaum kommen. Von Rüti zweifelt aber nicht daran, daß der Druck auf den Gemeinderat bis zu einer Wiedereröffnung der „Reitschule“ anhalten wird. Eine nächste Demonstration findet kommendes Wochenende statt. Zu einem „neuen 1980“ dürfte es in nächster Zeit auch in anderen Schweizer Städten kaum kommen. Obwohl zum Beispiel in Zürich oder Basel Auseinandersetzungen um alternative Freiräume im Gang sind, ist kaum eine explosive Stimmung zu spüren. Die Zahl der zu gewaltsamen Auseinandersetzungen bereiten Aktivisten hat in den letzten Jahren abgenommen. Gerade der Kampf gegen die Bevormundung der „Roten Fabrik“ durch Züricher Stadtbehörden und das Gerangel um die seit vier Monaten besetzte „alte Stadtgärtnerei“ in Basel zeigen, daß die neue Bewegung zuerst rechtstaatliche Mittel ausschöpfen will, bevor sie die Konfrontation auf der Straße sucht. Zudem zeigen die Behörden vermehrt Gesprächsbereitschaft, sei es auch nur aus taktischen Gründen.
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