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Die Beklemmung sitzt tiefer

Ein eiskalter Agent war Schnur nicht  ■ G A S T K O M M E N T A R

Schnur gibt auf. Und betont im eingeräumten Schuldgeständis, sein Wirken habe stets den Verfolgten und Unterdrückten des Landes gegolten... Glaubt er daran? Was mag er empfunden haben, wenn er seine engsten Freunde über die Mauer kippte und ihre Arbeit per Rufmordkampagne maximal auslöschte? Was mag mit einem Menschen passiert sein, der Zuneigung und vertrauen in einem Ausmaß empfing, das kein noch so hohes Stasi-Salair hätte aufwiegen können - und der dieses Vertrauen wie eine Klinge gegen seine Schützlinge kehrte?

Nein, ein eiskalter Agent war Schnur nicht. Vielleicht ein Schizophrener, auf jeden Fall ein Wiederholungstäter. Wahrscheinlich aber ein Mensch von einer unüberwindlichen Einsamkeit.

Doch das ist nur eine der traumatischen Seiten der DDR. Denn Schnur war zugleich der Prototyp eines Systems, das Freunde in einer unsichtbaren Arena so lange aufeinanderhetzte, bis sie mit Schaum vorm Maul voreinander liegenblieben.

Unsere Ausbürgerungen im Januar 1988 sind nicht das Werk eines Einzelnen, gar Schizophrenen. Wenn wir mit Schnur das Thema Vertrauensmißbrauch abhaken, ihn zum allein Schuldigen eines finsteren Kapitels DDR-Geschichte stempeln, wird uns diese Geschichte schon morgen hart einholen. Die deutsch -deutschen Regierungen, die „Rechts„-Anwälte, die Kirchen, wir selbst... der Mechanismus einer Verstrickung, die endlich lückenlos ans Licht muß.

Die Kirchen - waren sie ausschließlich Plattform der Menschenrechte? Und wir selbst, wir wackeren Oppositionellen? Sind wir am Ende nicht so brutal miteinander und Andersdenkenden umgegangen, daß die „große Idee“ im Geifer des Verrats erstickte? Auch Gysi und Genossen täten gut daran, sich ihrer kläglichen Vergangenheit zu stellen, statt im jungfräulichen Gewand linker Opposition in die deutsche Zukunft zu starten: Es war ihr System, das Menschen hat zu Kriechtieren schrumpfen lassen.

Schnur gibt auf - ein Tag, auf den ich seit zwei Jahren warte. Doch das Aufatmen will sich nicht einstellen, die Beklemmung sitzt tiefer.

Freya Klier (Regisseurin/Autorin, West-Berlin)

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