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Die Beilagen-Partei

WahljahrWer die Grünen sind, ist mit der Entscheidung für Göring-Eckardt und Özdemir geklärt. Doch was die Partei anzubieten hat, ist völlig unklar

Woche für Woche geht es nervtötend nur darum, ob die Grünen dieses begrüßen oder jenes verurteilen

von Georg Löwisch

Immerhin weiß man jetzt, wer die Grünen sind. Deren Mitglieder haben zwei realogrüne Profis zum Spitzenduo gewählt. Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sind zwei, die sich in Regierungsverantwortung auch mal schmutzig machen würden. Die Basis wusste das. Die Basis wollte das. Die Basis war Boss. So charakterisiert die Urwahl auch die Mehrheit der Mitglieder: bürgerlich, kompromisslerisch und dickfellig.

Die Republik ist gerade ein Reizraum voll schriller Klingeltöne. Da haben die Grünen – keine Ironie, wir kommen noch zu den Problemen – zwei starke Leute im Angebot.

Göring-Eckardt und Özdemir. Eine Ostdeutsche und der Sohn einer Einwandererfamilie. Dies ist besonders in einer Zeit, in der Ostdeutschland aufgerührt und Integration ein Riesenthema ist. Die Besonderheit besteht auch darin, dass bei den Grünen Einwanderer und Ostdeutsche kaum eine Rolle spielen. Es spricht für die Grünen, dass sie zwei wählen, die anders sind als sie selbst.

Allein, was die Grünen anzubieten haben, ist unklarer denn je. Wofür stehen sie? Was setzen sie auf die Agenda? Was wollen sie überhaupt? Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün – als 9-Prozent-Partei ohne Thema können sie beides vergessen. Woche für Woche geht es in nervtötender Weise darum, ob die Grünen dieses begrüßen oder jenes verurteilen. Bisweilen sind sie – Höchststrafe – auch offen für Gespräche. Sie sind zur „Was ­sagen die dazu?“-Partei geworden. Wenn man sich eine politische Debatte als Tellergericht vorstellt, dann sind die Grünen nur die Beilage.

Es war mal anders. Waldsterben, Abrüstung, Atomausstieg – die Grünen machten Themen groß. Die anderen mussten sich dazu verhalten. Selbst in der Regierung etablierten die Grünen ein neues Thema, an dem niemand vorbeikam: Künasts Agrarwende.

Den Linksgrünen, die gern behaupten, die Inhalte zu haben, mit denen alles gut wird, fehlen Mehrheiten und zugkräftige Angebote. Es stimmt ja: Reiche gehören härter besteuert in Deutschland. Die Ungerechtigkeit stinkt. Aber die Grünen sind in Fragen der Steuergerechtigkeit eben eine Zwischengröße, irgendwo zwischen SPD und Linkspartei. Und strategisch betrachtet bindet Umverteilung das große Wählerpotenzial der Bio­bohemiens nicht. Eher schwappt ihnen vor Schreck der Barolo über.

Die Agrarwende hat keine Konjunktur. Sie wird verdrängt vom Streit über Flüchtlinge, der Debatte über den Antiterrorkampf und der Sorge über die demokratiefeindlichen Bewegungen.

Vielleicht könnte das Angebot der Grünen in der Synthese aus Energie- und Außenpolitik bestehen: weg vom Öl, das die Kriegstreiber stark macht und das Klima schwach. Robert Habeck, bei der Urwahl der Zweitplatzierte knapp hinter Özdemir, hat das erkannt. Er könnte Nachhilfe geben. Oder Migration. Vielleicht ist Özdemir auch der Mann, der beantwortet, wie die Geschichte der Flüchtlinge jetzt weitergeht. Denn die Integrationspolitik liegt brach irgendwo zwischen Residenzpflicht und Billigpraktika.

Die Gefahr besteht allerdings, dass die Grünen trotz Urwahl gefangen bleiben. Dass sie sich auf ewig vertagen in innerparteilichen Verhandlungen. Auch eine Minderheit werden Göring-Eckardt und Özdemir einbinden müssen, und die Linksgrünen werden empfindlich sein wie nie. Gerade weil sie so dramatisch verloren haben. Doch wer ist da überhaupt noch? Anton Hofreiter steht nach der Urwahl niedrig im Kurs. Mit Simone Peter plant niemand mehr. Dafür sprengt die Aktie Trittin die Charts. Er wäre gern Teil der Antwort auf die Wer-Frage.

Aber die Was-Frage beantwortet auch Jürgen Trittin nicht. Neulich erschien im Spiegel ein Porträt über ihn. In Gegenwart des Journalisten regte er sich darüber auf, wie die Grünen den Präsidentschaftskandidaten Steinmeier kommentieren. Als ob Politik aus Presseerklärungen bestünde. Aus Sprachregelungen. Aus einem ewigen „Was sagen die dazu?“. Good night and good luck.

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