taz-Krimi, Teil 2: Die Asylanten kommen
■ Eine Fortsetzungsgeschichte in fünf Teilen von Christine Grän / Flammende Reden am Stammtisch im „Goldenen Hirschen“ gegen die Flüchtlinge / Wer vergiftete Bauer Hinrichs Schäferhund?
Die alte Schnapsbrennerei, in der die Asylanten hausen, liegt am äußersten Ende der Dorfstraße. Immer schon ein Schandfleck, ist sie jetzt so etwas wie eine Bedrohung geworden. Wer vorbeigeht, kann sie herumlungern sehen, die Asylanten. Haben ein altes Schnapsfaß zum Kartentisch umgewandelt, daneben brennt offenes Feuer, an dem sie sich offenbar wärmen. Das ist an sich schon gefährlich, so mit dem Feuer zu spielen. Und – die Frau des Apothekers wird nicht müde, es zu erzählen – sie entledigen sich ihrer Notdurft im Freien. Obwohl man dort doch chemische Toiletten aufgestellt habe, das weiß sie von der Frau des Bürgermeisters. Die Frau des Lehrers widerspricht ihr mit der Behauptung, daß diese Form der Notdurft in Afrika so üblich sei.
Muß man wissen, was in Afrika üblich ist? Hat man nicht genug am Hals mit den Männern und dem Geld und den Kindern, mit der kleinen Welt, die ihre unsichtbaren Mauern braucht? Außerdem stinkt es. Wenn der Wind aus östlicher Richtung kommt, riecht man im Dorf die Asylanten. Die dörfliche Gülle stinkt anders, es gibt eben diese und jene Scheiße, die eine nützlich und die andere unhygienisch. Da schwappt es hoch, das Riechen und Schmecken und Fühlen im Dorf. Der Bürgermeister beschwichtigt und verspricht, alle politischen Kanäle zu mobilisieren, aber auch er weiß, daß ihn der Asylanten- Skandal die nächste Wahl kosten wird.
Die Fremden bewegen sich nur gruppenweise durchs Dorf. Wenn das geschieht, halten Mütter ihre Kinderwagen fester, zählt der Besitzer des Dorfladens die Bananen in seiner Kiste, hängt Mario Calutti das Schild „Vorübergehend geschlossen“ an die Tür seiner Pizzeria. Als ob die lesen könnten. Die können ja nicht mal deutsch. Und Geld haben sie auch keines, um sich seine Pizza zu kaufen. Hängen bloß rum und glotzen seine Tochter hungrig an.
„Die Analphabeten aus Afrika bedrohen unseren Sozialstaat“, zitiert der Apotheker den CDU- Politiker Lummer. Wenn sich einer von den Politikern jetzt blicken ließe im Dorf, der könnte sich auf was gefaßt machen. Doch der Landrat befindet sich auf einer Dienstreise in Asien, und außer dem Bauern Hinrich läßt sich auch sonst niemand sehen, den man verantwortlich machen könnte. Der Bürgermeister sieht betroffen aus, wenn der auch ein Opfer ist, dann soll einer die Politik verstehen. Scheißpolitik. Wenn die da oben sich nicht mehr um ihre Bürger kümmern, dann muß man...
Man muß, soviel steht fest. Es liegt eine Hitze über dem Dorf, der die winterliche Kälte nichts anhaben kann. Im „Goldenen Hirschen“ werden flammende Reden gehalten zu Grog und Glühwein. Die Stimmung peitscht sich hoch, das merkt sogar der junge Pfarrer, der in letzter Zeit dazu neigt, den Stammtisch zu meiden. Im Bewußtsein der gesellschaftspolitischen Aufgaben der Kirche predigt er seiner Gemeinde, von „falschen Gefühlen“ zu lassen, von Vorurteilen und imaginären Ängsten. Er appelliert an Toleranz und Weltoffenheit und überfordert seine Zuhörer. „Herr vergib ihnen, denn sie wissen, was sie tun.“
Nein, das war falsch, entsetzlich falsch... Der Pfarrer wischt sich den Schweiß von der Stirn, er blickt auf sie hinab, seine Gemeinde, und er betet zu Gott, daß dieser ihm den rechten Weg weise, Unheil zu verhüten. Insbesondere fleht er darum, daß man die Asylanten schnell wegbringen würde, in ein anderes Quartier, schon um des lieben Friedens willen. Gott liebt all seine Kinder, doch er hat wohlgetan, sie weitläufig auf der Erde zu verteilen... Mensch, er kennt doch seine Pappenheimer: Die steigern sich in eine kollektive Wut, die in einer Katastrophe enden kann. Besonders schlimm sind die Weiber, die klatschen und hetzen und das Feuer immer wieder neu entfachen. „Man kann seine Töchter ja nicht mehr allein auf die Straße lassen.“ So und ähnlich reden sie, allen voran die Frau des Apothekers, deren häßliche Tochter gewiß niemand... Herr, vergib mir, ich bin auch nur ein Mensch...
Als Pfarrer nur bedingt mit den sexuellen Phantasien der Frauen vertraut, ist ihm durchaus bewußt, was da an schwülen Gefühlen nach oben wabert. Er sieht sie mit glühenden Augen flüstern, und wenn er näher kommt, dann schweigen sie und meiden seine mahnenden Blicke. Aus den Annalen des Dorfes geht hervor, daß in längst vergangener Zeit Hexen verbrannt wurden. Die Zeit steht still manchmal.
Als Bauer Hinrichs Schäferhund vergiftet aufgefunden wird, ist die Dorfmeinung geteilt. Keiner sagt laut, daß es dem Hinrich recht geschehen ist, doch viele denken, daß es wohl nicht die Asylanten waren. Obwohl's so gut gepaßt hätte, man wartet doch darauf, daß was passiert. Gehen sie nicht immer dreister über die Dorfstraße und in den Laden, um Schnaps zu kaufen? Woher haben die das Geld? Neger mit Lederjacken und Transistorradios sind kein Anblick, den ein deutscher Steuerzahler klaglos ertragen kann. Die Subventionen werden hier gekürzt und dort gestrichen, die Bauern gehen vor die Hunde – und die Fremden gehen immer dreister durchs Dorf. Die Frauen haben Angst, und die Männer haben Wut. Die Zeit ist reif. Doch wofür?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen