: „Die Arbeitslosenzahlen werden hochgehen“
Der Wirtschaftswissenschaftler und Spezialist für Krisen- und Regionalpolitik an der FU Berlin, Prof. Dr. Klaus Peter Kisker, zum Streit um die Berlin-Förderung ■ I N T E R V I E W
taz: Wie werden sich Ihrer Einschätzung nach die jetzt feststehenden Kürzungen und Änderungen bei der Berlin -Förderung auswirken?
Kisker: Ich meine, daß es sich im wesentlichen um Kürzungen handelt - ein Herumgewurstel, das den augenblicklichen Zustand verschlimmert. Dabei ist insbesondere das wichtigste Förderungsinstrument für kleine und mittlere Unternehmen, die Investitionszulage betroffen, was ich für katastrophal halte. Sie soll etwa um die Hälfte gekürzt werden. Das gefährdet die Existenz dieser Betriebe und wird dazu führen, daß erheblich weniger Neugründungen oder Neuansiedlungen junger Betriebe stattfinden. Geradezu grotesk ist, daß man just bei Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen einsparen will.
Sie haben ja im Gegenteil für eine wesentliche Aufstockung dieser Investitionszulagen plädiert. Allerdings hat der AL-Bundestagsabgeordnete Sellin, auf dessen Bitte Sie eine Stellungnahme vor dem Finanzausschuß des Bundestags abgaben, kritisiert, daß auch Sie in diesem Zusammenhang sich nicht richtig mit den Mitnahmeeffekten durch Großunternehmen auseinandergesetzt hätten und in Ihren Vorschlägen Instrumente zur gezielten Förderung von umwelt und sozialverträglichen Produktionen fehlten.
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Zulage insbesondere auf Klein- und Mittelunternehmen sowie auf die Berliner Eigenbetriebe begrenzt werden müßte. Von mir ist auch gefordert worden, daß zu den Vergabekriterien gehören muß, inwieweit umwelt- und sozialverträgliche Produktionsverfahren angewendet werden und qualifizierte Arbeitsplätze speziell für Frauen und Mädchen, Behinderte und andere benachteiligte Gruppen herausspringen.
In welchem Maße müßten überhaupt welche Branchen unterstützt werden, damit es nicht zu einem weiteren Arbeitsplatzabbau kommt und der vielbeschworene Standortnachteil in Berlin halbwegs ausgeglichen ist?
Da muß ich kurz auf die bisher praktizierte Berlin -Förderung zurückkommen. Die Umsatzsteuerpräferenz sowohl für Hersteller als auch für westdeutsche Abnehmer hat erheblich dazu beigetragen, daß hier in Berlin nur noch verlängerte Werkbänke verbleiben. Deswegen bin ich der Meinung, daß die Herstellerpräferenz ganz stark eingeschränkt und die Abnehmerpräferenz überhaupt gestrichen werden muß. Die dadurch freiwerdenden Mittel sollten für Investitionen verteilt werden, die umweltschonend sind und Arbeitsplätze schaffen. Man kann das jetzt nicht auf eine bestimmte Branche beschränken. Ich vertrete aber die Auffassung, daß wir entsprechend den Forderungen des Berliner DGB einen Wirtschafts- und Sozialrat einrichten sollten, der auf der Basis eines von Wissenschaftlern, Gewerkschaftlern und Politikern zusammen zu erstellenden Strukturentwicklungsplans diese Gelder ganz gezielt vergibt.
Beim DGB war da aber immer nur von relativ geringen Summen die Rede - wenn ich mich richtig erinnere, so um die 100 Millionen Mark jährlich. Was halten Sie denn von dem Antrag von Sellin und der Grünen-Fraktionen, rund ein Drittel der gesamten Berlin-Förderung über einen Art Öko -Fonds in den öffentlichen Infrastrukturbereich zu lenken?
Das deckt sich weitgehend mit meinen Vorstellungen. Nur bei der technischen Ausgestaltung der Vergabe der Mittel gibt es da bestimmte Differenzen. Der Unterschied liegt nur darin, daß ich das bestehende Instrumentarium, nämlich die Investitionszulage, entsprechend umbauen will. Während Sellin und die Grünen damit einen Investitionsfonds installieren möchten. Im Prinzip läuft das auf dasselbe hinaus.
Solange wir eine Kohl-Regierung haben und eine Diepgen -Mehrheit an der Spree auf dem status quo beharrt, werden solche Ideen gleichwohl Makulatur bleiben. Sehen Sie trotzdem Chancen für eine grundsätzliche Novellierung der gesetzlichen Grundlagen der Berlin-Förderung?
Der Bundestag wird sich schon in Kürze aus zwei Gründen wieder mit der Novellierung beschäftigen müssen. Erstens deshalb, weil einige der Vorschriften, insbesondere die Abnehmerpräferenz betreffend, wegen der Wettbewerbsverzerrung nicht mit der von der EG angestrebten Herstellung eines europäischen Binnenmarktes verträglich sind. Zweitens, weil ich befürchte, daß wir in Berlin bald in eine schwere konjunkturelle Krise geraten, die die Arbeitslosenzahlen deutlich über den Bundesdurchschnitt anschnellen lassen wird.
thok
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