Die Ärzte gänzlich unbescheiden: "Wir sind ein Kulturgut"
Einst waren die Ärzte die meistindizierte Band der Republik, heute führen sie die Charts an. Ein eher fäkalhumoriges Gespräch über Jazz, Götterstatus und Pro-Gewalt-Songs
taz: Ist "Jazz ist anders" ein Konzeptalbum?
Bela: Nein.
Warum nicht mal ein Konzeptalbum? Oder ein Jazzalbum?
Farin: Weil wir beides schon gemacht haben.
Ach ja?
Farin: Unser Konzeptalbum hieß "Le Frisur" und war konsequent. Andere Konzeptalben haben immer sehr weit gefasste Themen wie "Der Hunger in der Welt" oder "Die Frauen". Wir haben ein ganzes Album nur über Haare gemacht. Und Jazzstücke gibt es auch schon von uns, aber nicht auf diesem Album. Deswegen war es mal wieder Zeit, dem Jazz seine Grenzen zu zeigen.
Also kein Jazz. Aber was dann?
Bela: Schwierig. Es ist ja eben kein Konzeptalbum, also können wir es nicht auf einen Nenner bringen. Wir haben halt Songs geschrieben. Für uns. Denn wir drei sind die einzige Qualitätskontrolle.
"Die Ärzte haben", sagt ihr Schlagzeuger, "mindestens drei Weltkriege" überlebt. Was Bela B. damit meint: Gegründet wurde die Band im Jahr 1982, die Zusammenarbeit zwischen ihm und Gitarrist Farin Urlaub währt also schon ganz schön lang. Die Pause von 1989 bis 1993 fällt lange schon nicht mehr ins Gewicht. Seitdem ist man - verstärkt durch Bassist Rodrigo González - zur Institution auf Augenhöhe mit Grönemeyer und den Toten Hosen aufgestiegen. Dem neuen Album "Jazz ist anders" liegt eine Bonus-EP bei. Die Titel: "Wir sind die Besten", "Wir waren die Besten" und "Wir sind die Lustigsten". Gesundes Selbstbewusstsein ist zum 25-Jährigen angebracht
Farin: Wir sind unsere eigene Geschmackspolizei.
Bela: Wenn ich einen lustigen Song schreibe, dann will ich die anderen beiden zum Lachen bringen. Wenn ich einen ernsten Song schreibe -
Farin: - dann willst du, dass wir heulen.
Bela: Genau. Und wenn ich einen Selbstmordsong schreibe, dann will ich, dass gefälligst auch Blut fließt im Badezimmer. So ist das bei mir jedenfalls. Bei Rod ist das natürlich anders, der schreibt Songs für Opernhäuser.
Rod: In der Regel. Oder Musicals.
Farin: Jedes Album - außer "Le Frisur" natürlich - ist ein Sammelsurium aus aktuellen Ideen. Und weil wir wie die meisten Menschen sind, gibt es sowohl fröhliche als auch traurige Stücke, alberne und ernste, politische und extrem oberflächliche.
Bela: Und eigentlich auch immer Reminiszenzen an den Jazz, aber das ist diesmal anders.
Farin: Aber "Reminiszenzen sind anders" wäre ein doofer Titel gewesen, der perlt nicht so von der Zunge.
"Nur einen Kuss" klingt nach Lee Hazlewood, "Deine Freundin" wie James Brown. Wird jetzt mit dem Tod bestraft, wer von euch musikalisch verarscht wird? [lautes Gelächter]
Farin: "Nur ein Kuss" ist vor allem sehr Sixties. Solche Melodien schreibt man heute eigentlich nicht mehr. Als mir die Melodie einfiel, dachte ich zuerst, dass es vielleicht ein real existierendes Stück ist, das ich irgendwo mal gehört hatte. Diese pathetische Melodie brauchte einen pathetischen Text. So kam das. Und wir haben das dann ohne Streicher aufgenommen, aber so gut wir konnten, mit unseren beschränkten Mitteln. Und wenn sich das so eindeutig nach Lee Hazlewood anhört, dann stehen wir da auch nicht drüber und hören uns auch mal alte Platten an, um zu sehen, wie die damals mit Hallräumen gearbeitet haben.
Bela: Wir orientieren uns gerne an Vorbildern, an großen zumindest. Zitate oder Verbeugungen kann man durchaus zulassen.
Zitiert ihr bewusster als früher?
Bela: Nein, das war schon immer so. Spätestens seit unserem allerersten Album "Debil". Schon als wir angefangen haben, haben wir immer versucht, neu entdeckte Musikstile mit unseren bescheidenen Mitteln nachzuempfinden.
Farin: Also nicht nachspielen, sondern nachempfinden. Das ist der wichtige Unterschied.
Hat Euch der Tod von Hazlewood mitgenommen?
Bela: Natürlich. Der hat mich früher schon sehr beeinflusst. Deshalb war ich sehr froh, dass ich ihn letztes Jahr kennenlernen und einen Song mit ihm zusammen aufnehmen durfte. Ich war auch eingeladen auf seine letzte Geburtstagparty, hab das aber verschoben aus Zeitgründen. Und wollte dann einen Monat später hinfliegen, aber da war er schon tot.
Farin: Die Verbindung, die ich habe, ist nicht so persönlich wie die von Bela. Aber "Velvet Morning" hat mich umgehauen, tuts heute noch. So ein fantastisches Lied.
Ist das der perfekte Popsong?
Farin: Das wäre auf jeden Fall einer der Kandidaten. Aber der perfekte Popsong ist nicht der Heilige Gral, von dem es nur einen gibt.
Ihr seid auch eher berühmt geworden für indizierte Songs. Von wann ist letzte Indizierung?
Farin: 1986.
Schon lange her. Ihr wart mal stolz, die am häufigsten indizierte Band Deutschlands zu sein.
Bela: Irgendwann schon. Nach dem ganzen Stress, den wir in den ersten Jahren hatten, haben wir das Märtyrer-Image später durchaus benutzt und in der Öffentlichkeit breitgetreten. Aber wir haben Indizierungen nie absichtlich provoziert, das ist uns passiert. Es gab andere Bands, die haben ganz bewusst Songs geschrieben, um indiziert zu werden und das zu instrumentalisieren. Und wenn du heutzutage in der Hiphop-Szene was auf dich hältst, musst du auf dem Index landen. Das ist doch eine eher langweilige Angelegenheit.
Ist Euer Humor mainstreamtauglich geworden?
Bela: Wir haben uns nicht dem Mainstream angenähert. Aber wir sind Kulturgut geworden, weil, weil,
Farin: Ja, jetzt sieh mal zu, wie du da wieder rauskommst.
Bela: Weil wir so erfolgreich sind, hören uns auch viele Leute, die nicht so gerne Experimente machen.
Farin: Wir hatten die indexrelevanten Themen einfach abgehakt. Ich will ja nicht jedes Jahr über eine neue Sexualpraktik singen. Was ich privat praktiziere, das ist eine andere Frage.
Bela: Jedes Jahr eine neue.
Farin: Das geht. Außerdem: Gewalt und Rechtsradikalität fand ich persönlich noch nie so attraktiv, also hatten wir das Thema einfach durch.
Bela: Und selbst wenn wir was machen wie den "Schinder-Song", der eigentlich ein Pro-Gewalt-Song ist, dann heißt es: Das sind doch Die Ärzte, kommen die wieder mit so einer Schote um die Ecke, alles klar, hahaha.
Gefällt es euch nicht mehr, die lustige Band zu sein?
Farin: Wir sind ja auch nicht nur lustig. Das ist nur bei den Kritikern so, deren Job es zu sein scheint, uns zu verorten. Es gibt ja auch ganz viele Beweise für die Einordnung als lustige Band. Da kann man die anderen Sachen alle weglassen: politische Band, aufrührerische Band, charmante Band, elegante Band. Lustige Band ist einfacher, denn damit muss man sich nicht inhaltlich auseinandersetzen, ist ja alles nur Spaß.
Ist dank 25 Jahre Ärzte heute mehr Humor im deutschen Pop möglich?
Farin: Wir haben tatsächlich mal viele Komplimente aus der Hiphop-Ecke bekommen für unseren Umgang mit Sprache. Nicht für die Themen und natürlich erst recht nicht für die Musik.
Bela: Ferris MC hat gesagt, wir hätten ihn sozialisiert.
Der hat inzwischen mit dem Musikmachen aufgehört.
Bela: Ja, der hat aufgehört.
Es scheint eh ziemlich schwer, euch zu kopieren.
Rod: Jemand wie Jochen Distelmeyer von Blumfeld ist mit einem Song wie "Der Apfelmann" den Ärzten wahrscheinlich näher als irgendwelche offensichtlichen Epigonen.
Ausgerechnet Distelmeyer.
Bela: Der mag uns nicht besonders, aber das beruht auf Gegenseitigkeit.
Rod: Aber irgendwie hat da was abgefärbt. [Gelächter]
Bela: Stimmt, "Der Apfelmann" wäre schon ein Stück, das wir gern geschrieben hätten.
Gilt also weiter, was Bela vor bald zehn Jahren gesagt hat: "Die Infantilität schützt davor, zu ernst genommen zu werden."?
Bela: Der ironische Umgang mit uns selbst, mit dem - um es mal bescheiden zu sagen - göttergleichen Status, den wir innehaben, der ist natürlich gewollt.
Wie lebt es sich so als Gott?
Farin: Wir können machen, was wir wollen, und haben auch noch großen Erfolg damit.
Bela: Wir könnten auf der Bühne einen riesigen Haufen machen und würden auch noch Applaus dafür kriegen. Das wäre eine Möglichkeit, aber würden wir das allzu häufig machen, dann wäre es ziemlich schnell vorbei.
Farin: Früher waren die Haufen auch größer.
Was sagt es uns über Deutschland, dass ausgerechnet die Ärzte hier so erfolgreich sind?
Farin: Das ist ein bisschen wie bei Ephraim Kishon, der auch ausgerechnet in Deutschland seine größten Erfolge feierte, weil alle ein schlechtes Gewissen hatten wegen dem Dritten Reich. Und offensichtlich hatten die Deutschen auch Punk gegenüber ein schlechtes Gewissen.
Bela: Weil sie die ganzen Fun-Punker in Umerziehungslager gesteckt haben, wollen sie das an uns wieder gut machen. Aber vielleicht sind wir auch nur drei Typen, die wie viele Deutsche gern mit ihrer Kacke spielen. Aber sich im Gegensatz zu den meisten anderen auch trauen, das öffentlich zu sagen.
Farin: Ich spiel doch gar nicht gern mit deiner Kacke.
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
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