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Die Abgestumpftheit der Erfinder-betr.: "Benetton", von Ulf Erdmann Ziegler, taz vom 21.3.92

betr.: „Benetton“, von Ulf Erdmann Ziegler, taz vom 21.3.92

Die Hilflosigkeit beim Umgang und der Beurteilung des Komplexes Benetton-Werbung und Gerichtsurteil über das Verbot einzelner Bilder der Werbekampagne, gerade in den Medien taz und Spiegel verblüfft mich und macht mich gleichzeitig zornig.

Werbung als Bestandteil unserer Welt zu begreifen und sie „nur“ darum systemimmanent, d.h. im Rahmen ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten, zu beschreiben, zu kritisieren und zu beurteilen, scheint mir im Falle Benetton, wie auch in anderen Fällen, fatal und muß daher zu Verwirrung und „Meinungsunsicherheit“ führen. Als ob „die Werbung“ lernfähig wäre, veränderbar in dem Sinne, wie z.B. ein demokratisches System — ich greife hoch — das ich kritisiere, immer in der Hoffnung, daß sich Ungerechtigkeiten vermeiden lassen werden, daß Menschlichkeit Vorrang vor allen anderen Gesetzmäßigkeiten erhalten wird.

Die Tatsache, daß hier existentielle Probleme unserer Zeit als Werbemittel verwendet werden, führt den Betrachter zu einer Konfusion, die wohl ungefähr so entsteht: hervorragende Fotos, Aufmerksamkeit für Themen unserer Zeit einerseits — schöne Klamotten andererseits. [...]

Aber geht es hierum wirklich? Werbung will ein Produkt verkaufen, Umsatz steigern, nicht mehr. Kampagnen wie die von Benetton sind letztlich nur ein Ausdruck der Abgestumpftheit ihrer Erfinder und unserer Welt. Die Werbebotschaft ist immer eindeutig.

Wer denkt an die Gefühle der Menschen, die Aids-krank sind und ihre Krankheit plötzlich auf Plakatwänden als Marktstrategie wiederentdecken, an die Gefühle der Hinterbliebenen von Kriegstoten, an die Opfer tagtäglichen Rassismusses, an all die Ausgegrenzten und Minderheiten, die eh schon genug mit ihrem eigenen Überleben zu tun haben? „Die Werbung“ als Speerspitze eines Leistungssystems, dessen Auswüchse selbst produziert sind und — wie schrecklich — zur Erhaltung des Systems dienen, macht sich lustig über ihre eigenen Opfer. Verquer das Ganze, und ins Irreale überzogen.

Themen wie Kunst, „Moralphilosophie“, Zensur, Unterdrückung, Gerechtigkeit, Humanismus verquirlen sich in der Debatte zu einem Wirrwarr an Vorstellungen, in dem Kommerzstrategen viel zu ernst genommen werden, in dem die Wichtigkeit der eigenen Aussagen sich reduziert.

Entflechtung bedeutet wohl, die Dinge beim Namen zu nennen und sich gegen die Vereinnahmung eigener Themen in der Werbung zu wehren. Künstler, Philosophen, Redakteure, politisch Kämpfende sollten die eigenen, sich sträubenden Nackenhaare ernst nehmen und Werbestrategen zurück in ihre Schranken verweisen und somit einen Prozeß mit eindämmen, in dem Bilderwelten zu Wirklichkeiten, Empörung und Erschrecken zu Fremdheiten und Anliegen zu Farcen gestempelt werden. Wenn „die Werbung“ dadurch dann auf das reduziert wird, was sie eigentlich zu zeigen hat und zeigen will, das — oftmals lächerlich und überflüssig daherkommende — Produkt, und wenn sie in diesem Bemühen es zu zeigen, wie der Spiegel schreibt, ans Ende gelangt ist: nun gut!, dann haben wir eben eine Welt ohne Werbung. Wie wär/s denn mal damit. Volker Nass, W-Berlin

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