■ Die 14. Weltmeisterschaft im Wurmlocken: Ohne Verletzung der Wurmrechte
Willaston (taz) – Während am letzten Samstag in England alle Augen auf dem Tennis-Rasen von Wimbledon hafteten, wurde – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – in dem Dorf Willaston bei Chester ein anderer bedeutender Titelkampf entschieden: Die Welt hat einen neuen Champion im Wurmlocken. „Auf die Würmer, fertig, los!“ hieß das Startsignal zur 14. Weltmeisterschaft in dieser Disziplin, und das Fußballfeld der Dorfschule gehörte den ExzentrikerInnen: 144 geübte WurmlockerInnen aus aller Welt stürzten zu Boden und dachten nur an eins: in 30 Minuten soviel Würmer wie möglich aus ihren Löchern zu locken.
„Das hält ja kein Wurm aus“, mochte sich so manches Tier genervt denken. Denn an einem trockenen Tag, an dem es einen Wurm nicht unbedingt aus seinem Erdreich zieht, müssen selbst die professionellsten WurmlockerInnen nicht nur zu den unkonventionellsten, sondern auch zu den lautesten Mitteln greifen, um ihre Drei- Quadratmeter-Felder in rechte Schwingungen zu versetzen. Good vibrations, weiß jedeR KennerIn, sind nämlich das A und O, geht es darum, einen Wurm um den Finger zu wickeln. Da erzittert nicht nur so manche Mistgabel, auch Gummihammer, Besenstiel, Hüpfbälle, Papas Schlappen und alles, was Haus und Hof sonst noch zu bieten hatten, kam zum Einsatz. Nicht zuletzt bewährte sich auch der gute alte Ohrwurm als Köder – ob selbstgesungen oder aus dem Kofferradio.
Wehe denen, die sich bei einer Wurmlock-Meisterschaft beim Graben erwischen lassen. Der Wurm ist für sie abgefahren. Das gilt ebenso für „CharmerInnen“, so die LockerInnen im Fachjargon, die durch die Dopingkontrolle fallen, denn der Einsatz harter Drogen wie Wasser, Tee oder gar Kaffeesatz ist strengstens verboten. So, beteuert der Veranstalter, gebiete es die EG-Norm. Eine Einschränkung, die so mancheN WettkämpferIn wurmte, bei dem/der es kurz vor dem Schlußpfiff noch nicht im Sammelglas wimmelte. Immerhin ging es hier um den Wurm – und zwar den goldenen.
Nicht nur, wer sich für ein ganzes Jahr mit dieser zierlichen Trophäe schmücken darf, auch ein weiteres Schicksal hängt jedesmal von der Auswertung der Jury ab: Wird der Brite Tom Shuflebotham seinen Platz im Guinness-Buch der Rekorde einbüßen? Mit 511 gelockten Würmern steckte er 1980 den Weltrekord. Knapp hat ihn der neue Champion verfehlt: 487 Würmer ließ sich der Engländer Robert Neville aus dem Glase ziehen. Für einen deutschen Teilnehmer hingegen war eher der Wurm drin. Der Arzt aus Hessen hatte vergeblich versucht, den Tierchen mit seinem Reflexhammer auf den Nerv zu fühlen.
Qualität statt Masse heißt es schließlich traditionell bei der Verleihung der zweiten Trophäe: dem silbernen Wurm für den fettesten Fang. Viereinhalb Gramm wog das Prachtexemplar, das sich diesmal rosig auf der Briefwaage räkelte. Und so mancheR WurmlockerIn träumte insgeheim davon, es als ausgestopfte Trophäe stolz auf dem eigenen Wohnzimmerschrank zu wissen.
„Arme Würmchen“, werden TierschützerInnen sagen. Doch kein Grund, die Wurmjagd madig zu machen. Der Veranstalter ist nämlich nicht etwa rein zufällig auch der Vorsitzende des örtlichen Angel- oder Singvogelvereins, sondern ein fairer Wurmliebhaber, der keine Verletzung der Wurmrechte duldet. Und die besagen: Jeder Gefangene wird unversehrt wieder auf freien Fuß gesetzt – und zwar erst, wenn alle Vögel schlafen. Antje Passenheim
P.S.: Die Verfasserin kam mit 122 erbeuteten Würmern auf Platz 80 der Weltrangliste.
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