: Dichtung und Wahrheit in Indien
■ Podiumsdiskussion und Matinee mit Filmen aus Sarajevo Dokumentarfilm „Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin“
Wenn Legenden entstehen, verlieren sich reale Personen schnell in kollektiven Phantasien. Die Mechanismen einer Legendenbildung kann man in dem Dokumentarfilm Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin der deutschen Regisseurin Mirjam Quinte wunderbar beobachten.
Die Inderin Phoolan Devi war Anfang der 80er Jahre eine sehr erfolgreiche Bandenführerin, die u.a. ein Dorf überfiel, in dem sie in ihrer Jugend vergewaltigt worden war, und dort 18 Männer umbrachte. Jahre später stellte sie sich der Polizei und seitdem wartet sie im Gefängnis auf ihren Prozeß. Ihre Geschichte kennt jeder in Indien, Spielfilme, Bücher und Moritaten wurden und werden daraus gesponnen, aber für die reale und enttäuschend unromantische Phoolan Devi interessiert sich kaum noch jemand. Diese absurde Diskrepanz zwischen der fiktiven und realen Gestalt zeigt Quinte, indem sie vornehmlich die Beteiligten reden läßt. Eine der vielen Schauspielerinnen, die die Bandenchefin gespielt haben, erzählt, wie sie deren Wut in sich spürte und vor der Kamera tatsächlich ihre männlichen Opfer auspeitschte. Daß sie der realen Poolan Devi kaum die Hand geben würde, wird spätestens klar, wenn man diese in einem mit Schimpfworten durchsetztem Dialekt reden hört. Autoren, Journalisten und ein Filmproduzent erzählen ihre Versionen der Geschichte; für die Straßenarbeiterinnen aus den niedrigen Kasten ist Phoolan eine Verkörperung der strafenden Göttin Kali.
Nur wenige Kilometer entfernt von dem Gefängniss, in dem Poolan Devi sitzt, wird ein weiterer Spielfilm über sie gedreht, und es gibt keinerlei Berührungspunkte zwischen beiden mehr. Mit solchen Pointen ist der Film gespickt, und hätte Mirjam Quinte nicht auch noch versucht, eine allzu dick aufgetragene feministische Botschaft in den Film zu packen, wäre er durchweg gelungen. Aber so gibt es zuviele „betroffene“ Kommentare aus dem Off und immer wieder gleiche Zwischenschnitte auf ein armes indisches Mädchen mit ihrer Ziegenherde.
Ein viel stärkeres feministisches Statement ist das Interview mit Poolan Devi selber: Wenn sie mit sichtlichem Vergnügen erzählt, wie sie den Ehemann, der sie schlecht behandelte, vor dem ganzen Dorf demütigte, verprügelte und gefesselt auf einem Esel reiten ließ, läßt sich ahnen, warum diese Frau einmal eine Bande von wilden Banditen anführen konnte. Aus dieser Energie können Legenden entstehen. Wilfried Hippen
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