Deutschland und der Russland-Ukraine-Konflikt: Mehr Entspannung wagen

Die Ampelregierung tritt gegenüber Moskau keineswegs zu lasch auf. Eher lässt sie es an vertrauensbildenden Maßnahmen mangeln.

Röhren und ein Absperrband in einer Gasanlandestation.

Gasanlandestation von Nordstream 2 in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern Foto: Jens Büttner/dpa

In der Debatte um den Russland-Ukraine-Konflikt verläuft die Scheidelinie zwischen Tapferkeit und Feigheit, Standhaftigkeit und Opportunismus anscheinend entlang von zwei Themen: Nord Stream 2 und Waffen für Kiew. Keine Geschäfte mit dem Aggressor und Nein zur Pipeline, Hilfe für die Angegriffenen und Ja zu Waffenlieferungen erscheinen als moralisch gebotene Haltungen. Es ist komplizierter.

Nord Stream 2 ist für Russland in der Tat ein bequemer Weg, die Ukraine als Gastransitland zu umgehen. Doch zwingend nötig ist die Pipeline dafür nicht. Denn Russland kann bereits jetzt die Ostseepipeline Nord Stream 1, die Leitung durch Belarus und Polen, und im Süden Turkstream nutzen, um die Ukraine zu umgehen. Die Idee, ohne Nord Stream 2 könnte der Westen Putin zwingen, die Ukraine zum Gastransport zu nutzen und die fälligen Gebühren an Kiew zu zahlen, ist Hybris.

Nun gibt es schon lange profunde Einwände gegen Nord Stream 2. Das DIW zeigte 2018, dass die bestehenden Leitungen ausreichen, um russisches Gas nach West­europa zu liefern. In Polen und der Ukrai­ne mobilisierte Nord Stream 2 Ängste, dass Berlin und Moskau über sie hinweg Sonderbeziehungen etablieren könnten.

Deutsche Außenpolitik, die sich der NS-Zeit bewusst ist, sollte aber immer vermeiden, Ängste zu wecken. Deshalb sind auch Waffenlieferungen aus Deutschland an Kiew wenig sinnvoll. Mit deutschen Waffen getötete Separatisten oder russische Soldaten werden diesen Konflikt erst recht anheizen.

Kurzum: Nord Stream 2 ist energiepolitisch unnötig, außenpolitisch schädlich und wäre besser nicht gebaut worden. Aber das ist keine Antwort auf die kniffelige Frage, was Berlin tut, wenn die Pipeline von der EU genehmigt wird. Falls Russland in der Ukrai­ne einmarschiert, ist die Sache klar. Dann sind alle Gaslieferungen – und auch die milliardenschweren Ölexporte Russlands in die USA – auf dem Prüfstand.

Doch Nord Stream 2 jetzt politisch zu beerdigen ist unklug. Damit tut Berlin genau das, was viele Putin vorwerfen. Es nutzt Gas als politische Waffe und dreht damit, gewollt oder nicht, an der Eskalationsspirale.

Achtung Eskalationsgefahr

Denn trotz allem Rätselraten, was Moskau im Schilde führt, ist ein Reflex leicht erkennbar: Putin schlägt immer schnell zurück. Wenn Russia Today in Deutschland nicht senden darf, verbietet Moskau die Deutsche Welle. 2014 verhängte Putin als Antwort auf die EU-Sanktionen ein Importverbot für Lebensmittel aus der EU. Wenn die Ampel Nord Stream 2 abschaltet, kann Deutschland sich neben saftigen Entschädigungszahlungen für das 17-Milliarden-Projekt auf Gegensanktionen gefasst machen.

Gas kann Russland auch in Asien verkaufen. Die Ankündigung „Wenn du nicht aufräumst, gibt es kein Taschengeld“ führt selten zu aufgeräumten Kinderzimmern. In der Außenpolitik sind pädagogische Strafaktionen auch nur bedingt erfolgreich. Es gibt gute Gründe, sich auf die Prinzipien der Entspannungspolitik zu besinnen. Die bedeutet nicht, sich den Gegner schön zu malen oder gar wie Gerhard Schröder auf dessen Payroll zu stehen.

Entspannungspolitik sucht gemeinsame Interessen und bremst Eskalationsdynamiken. Dafür ist aber Verlässlichkeit erforderlich. Abrupte Kurswechsel sind Gift. Genau deshalb sollte die Ampel sich lieber fünfmal überlegen, ob es klug ist, Nord Stream 2 zur Ruine zu machen – um Russland zu bestrafen.

Wo ist eigentlich die aktive Entspannungspolitik der Ampel? Der Westen kann Russland, in einem Prozess des Gebens und Nehmens, entgegenkommen, etwa bei Kurz- und Mittelstreckenraketen. Ein neuer INF-Vertrag kann Ängste in Moskau mindern. In den Topf gehört auch, als Verhandlungsstoff, eine verbindliche Erklärung der Nato, die Ukraine für einen langen Zeitraum nicht aufzunehmen. Damit würde sich niemand einen Zacken aus der Krone brechen. Den Nato-Kritierien nach könnte die Ukraine dort mittelfristig sowieso nicht beitreten.

Klüger, als mit dem Aus von Nord Stream 2 zu drohen, sind vertrauensbildende Maßnahmen. Das ist keine Weicheipolitik, sondern Realismus. Kanzler Scholz hat bei alldem bislang eher durch Abwesenheit geglänzt. In zwei Wochen trifft er Putin. Es ist höchste Zeit.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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