: Deutschland in den Grenzen von 1990
■ Bundestag und Volkskammer verabschiedeten die Erklärung zur polnischen Westgrenze und den Staatsvertrag
Ohne Anerkennung von Polens Westgrenze ist in diesem Deutschland kein Staat zu machen. Von dieser Erkenntnis geleitet, stimmten gestern abend nach ganztägiger Debatte die Abgeordneten von Bundestag und Volkskammer einer gleichlautenden Erklärung über die Anerkennung der polnischen Westgrenze zu.
Mit klaren Mehrheiten haben sich am Donnerstag der Bundestag in Bonn und die Volkskammer der DDR in Berlin für die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze in ihrem jetzigen Verlauf ausgesprochen. Obwohl die Abgeordneten erst am Abend zu einer namentlichen Abstimmung aufgerufen werden sollten, stand die Zustimmung bereits vorher fest. Mitten in der Debatte verlas Bundestags-Vizepräsident Heinz Westphal die Meldung aus Ost-Berlin, wo die Volkskammer bereits mit 394 gegen sechs Stimmen die gleichlautende Anerkennung der Oder -Neiße-Grenze gebilligt hatte. 18 Abgeordnete hatten sich dabei der Stimme enthalten.
„Von deutschem Boden werden Frieden und Freiheit ausgehen“, hatte Helmut Kohl vor seinen Ausführungen zur polnischen Westgrenze in das Plenum des Deutschen Bundestages geschmettert. Im Nachhinein klang dieser Satz bedrohlich. Die Westgrenze Polens muß anerkannt werden, weil wir sonst auf unsere Einheit verzichten müssen. Und die Vertreibung der Deutschen ist den Verbrechen der Nazis an den Polen durchaus vergleichbar. Diese Botschaften gab Helmut Kohl seinem Plädoyer für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens an die Seite - oder umgekehrt, diesen Botschaften hängte er das Plädoyer an.
„Niemand soll sich täuschen: Wir stehen heute vor einer ganz klaren Wahl. Entweder wir bestätigen die bestehende Grenze oder wir verspielen unsere Chance zur deutschen Einheit.“ So und so ähnlich begründete der Bundeskanzler, weshalb die Bundesregierung nun endlich akzeptieren muß, was überall sonst seit langem anerkannte Tatsache ist. Das Recht der Polen, sicher hinter diese Grenze zu leben - dieser Anspruch alleine, für sich genommen, tauchte an kaum einer Stelle der Regierungserklärung auf.
Schlimm war der Krieg, mit dem das Nazi-Deutschland Polen überzogen hatte. Ebenso schlimm war aber auch, was das polnische Volk nach Kriegsende den Deutschen angetan hat wenn nicht gar schlimmer. So konnte gestern den Bundeskanzler verstehen, wer wollte. So sollte man ihn vielleicht auch verstehen. In zusammen zwei Absätzen seiner 19seitigen Rede verurteilte er die Verbrechen der Deutschen. Ungefähr 23 Absätze widmete er den aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Vertriebenen, ihren Nachkommen und der deutschen Minderheit in Polen.
Es war, nach Kohls Darstellung, Hitler, der den Krieg „gewollt, geplant und entfesselt“ hatte, es war das NS -Regime, das die Folgen verantwortete. Hörte man den Kanzler reden, gewann man überdies den Eindruck, daß er heute nicht mehr die Polen, wohl aber noch die Vertriebenen unter dem Eindruck dieses Krieges leiden sieht. Sie „schmerzt“ und „berührt“ die Grenzerklärung nämlich „tief“, sie „empfinden Trauer“, befinden sich in keiner „leichten Stunde“, haben wegen Flucht, Vertreibung, Tod von Angehörigen ein „schweres Schicksal“ hinter sich. Vergleichbare Bekundungen des Mitgefühls mit dem polnischen Volk fehlten gänzlich. Stattdessen erging sich der Bundeskanzler zuweilen in einer brutalen Gönnerhaftigkeit: „Wir Deutschen“, beschied er etwa, „wollen nicht, daß Krieg, Elend, Blut und Tod immer wieder aufgerechnet werden.“
Ferdos Forudastan
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