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Deutscher AIDS-Kongreß in München

■ Fachleute verurteilen AIDS-Kliniken als „absoluten Unsinn“ / Absonderung Infizierter abgelehnt / Erstaunlich wenig neue Angesteckte / Insgesamt sind in der BRD 15.000 Infizierte und Kranke gemeldet

München (ap) – Führende Wissenschaftler haben die Einrichtung spezieller AIDS-Kliniken abgelehnt und sie als „absoluten Unsinn“ verurteilt. Gleichzeitig berichteten sie auf einer Pressekonferenz zum Auftakt des „Deutschen AIDS-Kongresses“ am Donnerstag in München, die Zahl der neu Infizierten sei „überraschend niedrig“. „Wir haben mit viel mehr gerechnet“, erklärte der Berliner Virologe Habermehl nach Auswertung erster Ergebnisse der anonymen AIDS-Labormeldepflicht. Insgesamt seien in der Bundesrepublik 15.000 Infizierte und Kranke gemeldet. Habermehl nannte eine mögliche Dunkelziffer von 30.000 bis 80.000 und widersprach Äußerungen von Politikern, derzeit seien bereits an die 200.000 Menschen infiziert. Auch das Bundesgesundheitsamt geht von bis zu 100.000 Infizierten aus. „Wenn wir wirklich so viele Infizierte hätten, dann müßten wir bei Stichproben mehr finden. In der normalen Bevölkerung finden Sie nichts, unter 6.000 Schwangeren, die wir in Berlin untersucht haben, war keine einzige infiziert“, sagte Habermehl. Dennoch sei heute bereits in jeder Internistenpraxis ein Infizierter behandelt worden oder bekannt, ergänzte Frank Detlev Göbel von der Münchner Uniklinik.

Otto Braun-Falco, Leiter der Münchner Universitäts-Hautklinik, sagte: „Es ist eine verrückte Idee, AIDS-Kliniken einzurichten. Die sind sofort voll, das ist ein völlig falscher Weg.“ Man könne nicht wie bei Lepra spezielle „Aussatz-Kliniken“ errichten: „AIDS ist keine besondere Krankheit, sie hat alle möglichen Ausformungen.“ Alle Ärzte seien damit konfrontiert. Statt Absonderung in Kliniken sei die Zusammenarbeit der Ärzte gefordert. Keinerlei Hoffnung machten die Ärzte auf die schnelle Entwicklung eines Medikaments oder eines Impfstoffs gegen die tödliche Krankheit. „Alles, was man bisher sieht, ist nichts“, beschrieb Dieter Adam von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie die Ergebnisse der Medikamentenforschung. „Entweder es ist alles völlig unwirksam, oder es ist zu giftig, um es anzuwenden. Wir forschen im Moment im Schrotschußverfahren.“ Der AIDS-Aufklärungsberater bei den bayerischen Gesundheitsämtern, Michael Koch, wies unterdessen Berichte zurück, er habe die Internierung AIDS-Kranker gefordert. In einem Interview der Bild-Zeitung sagte Koch: „Ich bin dafür, zum Beispiel drogensüchtige Kranke, die durch Prostitution Gesunde anstecken, aus dem Verkehr zu ziehen. Es sei nötig, die „Gauweiler-Linie“ Bayerns beizubehalten.

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