Deutsche Serie „Schwarze Früchte“: Was für ein Triumph
Die neue Serie „Schwarze Früchte“ wurde fast nur von queeren und Schwarzen Menschen geschaffen. Sie ist herrlich komisch und zugleich emotional.
Auf einen Serienprotagonisten wie Lalo musste Deutschland lange warten. Gar nicht so sehr, weil der junge Mann, der im Fokus von „Schwarze Früchte“ steht, Schwarz und queer ist, auch wenn beides, zumal in der Kombination, hierzulande selbst nach „All You Need“ oder der sechsten Staffel der Jugendreihe „Druck“ noch immer eher eine Seltenheit ist.
Aber vor allem ist Lalo jemand, der vermeintlich so gar nicht taugt, das Publikum an die Hand zu nehmen: ein bisschen zu passiv-aggressiv, durchaus narzisstisch und im Kern vor allem reichlich verunsichert. Weswegen man sich am Ende womöglich deutlich mehr mit ihm identifizieren kann, als einem angenehm ist.
Dieser Lalo, erdacht und gespielt von Schöpfer, Showrunner und Hauptdarsteller Lamin Leroy Gibba, treibt in seinen Zwanzigern ziemlich ziellos durch seine Heimatstadt Hamburg. Das Studium ist abgebrochen und die Idee vom Künstlerdasein bestenfalls vage formuliert. Der noch nicht lange zurückliegende Tod des Vaters ist kein bisschen verarbeitet und die Beziehung zu Tobias (Nick Romeo Reimann) – das zeigt gleich die erste von acht Episoden – wird weder lange halten noch von einem Tag auf den nächsten abgehakt sein.
Ihm zur Seite – oder doch gegenüber? – steht Karla (Melodie Simina), seine beste Freundin aus Kindheitstagen. Auf den ersten Blick steht sie in ihrem Leben an einem vollkommen anderen Punkt, ist selbstbewusst und zielstrebig, gerade erst gab es vom unangenehm distanzlosen Vorgesetzten eine fette Beförderung. Doch es braucht nicht viel, um auch hinter ihrem toughen Auftreten einen Abgrund aus Zweifeln sichtbar zu machen.
Was Gibba und sein Writers Room rund um diese beiden als Story entwickelt haben, ist weniger plotgetrieben, sondern eher das Beobachten eines nicht selten wenig definierten Findungsprozesses. Einer Suche danach, wo man hin will und wer man eigentlich ist, was es bedeutet, wirklich erwachsen zu werden, und warum die eigene Vergangenheit einen dabei doch immer noch so fest im Griff hat. Gleichzeitig mit enormem Feingefühl und trotzdem messerscharf eingefangen.
Weil gerade Lalo sich dabei immer wieder in unangenehme Situationen bringt, in denen man sich als Zuschauer*in der Fremdscham nur schwer erwehren kann, könnte man „Schwarze Früchte“ durchaus als Cringe-Comedy à la „Curb Your Enthusiasm“ beschreiben.
Bemerkenswerte Vielfalt, aber nicht darauf reduziert
„Fleabag“ oder „Insecure“ aber sind die passenderen Vergleiche, weil eben das Moment der Selbstermächtigung ins Spiel kommt, wenn Showrunner*innen, die letztlich Versionen ihrer selbst ins Zentrum rücken, damit von Menschen erzählen, denen sonst im männlich-weißen Mainstream dieser Raum selten zugestanden.
Womit dann auch die Nähe zu Serien wie „Sort Of“, „Ramy“ oder „Please Like Me“ hergestellt ist, in denen ebenfalls Selbstfindungsgeschichten unterfüttert wurden mit den Lebensrealitäten und Erfahrungen der Schöpfer*innen zwischen Queerness, Race und anderen kulturelle Hintergründen.
Dass praktisch alle Figuren in Gibbas Serie Schwarz und/oder queer sind, ist einerseits der springende Punkt und ist es auch wieder nicht. So sehr „Schwarze Früchte“ eine bemerkenswerte Vielfalt Schwarzer Perspektiven abbildet und so sehr hier mitunter enorm spezifisch Momente aus dem Gefühls- und Sexleben queerer Menschen präsentiert werden, so wenig werden die Figuren (zu denen unter anderem auch Vanessa Yeboah als Karlas Schwester, Benjamin Radjaipour als Lalos bester Freund oder Daniel Hernandez als sein neuer Schwarm gehören) darauf reduziert.
Dass dabei auch das Ensemble und das Team hinter der Kamera bewusst queer und aus (zum Teil sehr jungen) People of Color zusammengestellt wurden, ist natürlich eine Ansage an und für die deutsche Filmbranche – und sie verfehlt ihr Ziel nicht.
Was Gibba, das Regieduo Elisha Smith Leverock und David Uzochukwu sowie ihre Mitstreiter*innen leisten, ist außergewöhnlich, vom authentischen Spiel über die ungekünstelten Dialoge bis hin zur Bildsprache, die stilbewusst und sexy gleichermaßen ist. Kurz gesagt: „Schwarze Früchte“ ist ein herrlich komischer und herzzerreißend emotionaler Triumph, für den man dankbar sein muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“