Deutsche Importstrategie für Wasserstoff: Produktion im Herzen Afrikas
Um bis 2045 klimaneutral zu werden, setzt Deutschland auf Wasserstoff. Der soll unter anderem aus Namibia kommen. Das geht nicht ohne Verwerfungen.
Der Energieträger soll Deutschland helfen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Bis zu 70 Prozent des geschätzten Bedarfs werden aus dem Ausland kommen müssen, weil die hiesigen Kapazitäten nicht ausreichen. Wie sie das genau machen will, hat die Bundesregierung am Mittwoch mit ihrer Wasserstoffimportstrategie vorgestellt. Vier große pipelinegebundene Importkorridore, aber auch Schiffe, die besondere Terminals brauchen, spielen dabei eine Rolle.
Enertrag ist bereits in das Geschäft eingestiegen. In Osterweddingen will das Unternehmen mit dem Bau eines Elektrolyseurs beginnen, einer Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff mit Hilfe von Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken. Potenzielle Abnehmer für das Ökogas dürfte es im Umkreis genug geben: In dem Gewerbegebiet südlich von Magdeburg stehen schon mehrere große Hallen, unter anderem von Online-Händler Amazon und dem chinesischen Batterieproduzenten CATL.
Aber das eigentliche Großvorhaben treibt Enertrag weit entfernt voran – in Namibia. In dem Land an der Südwestküste Afrikas plant die Firma eine gigantische Investition in der Größenordnung von zehn Milliarden Euro. Auch dabei geht es um die Produktion grünen Wasserstoffs, der später unter anderem nach Deutschland transportiert werden könnte. Mittlerweile aber melden sich afrikanische AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und in Deutschland ansässige Organisationen wie die Klima-Allianz mit Kritik nicht nur an den ökologischen Folgen des Projekts.
Meerwasserentsalzung in Lüderitz
Grüner Wasserstoff soll künftig fossile Energiequellen wie Erdgas ersetzen. Die deutsche Industrie wird große Mengen brauchen, kann aber nur einen Teil selbst erzeugen. Ein konkreter Plan sieht deshalb so aus: Ein paar Kilometer westlich des namibischen Hafens Lüderitz wird eine Anlage errichtet, um Meerwasser zu entsalzen. Vom dortigen Angra Point führt eine Pipeline etwa 80 Kilometer nach Südosten, wo die Elektrolyseure arbeiten sollen. Diese zerlegen das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Betrieben werden sie mit Strom aus großen Wind- und Solarparks. Wenn alles fertig ist, könnten unter anderem rund 600 Windräder dort stehen. Die installierte Ökoenergieleistung soll schließlich sieben Gigawatt erreichen (Milliarden Watt), etwa vier Prozent der Kapazität, die in Deutschland momentan am Netz ist. Der Wasserstoff strömt dann durch eine weitere Röhre zurück nach Angra Point, parallel dazu fließt Strom durch Hochspannungsleitungen. Dort wandelt eine zweite Fabrik das Gas in Ammoniak um, damit es vom ebenfalls neuen Verladepunkt an der Küste leichter mit Tankern exportiert werden kann.
Um das Projekt zu realisieren, hat sich Enertrag zusammen mit anderen Firmen an einer Ausschreibung der namibischen Regierung beteiligt und gewonnen. Dabei geht es um die Nutzung von etwa 4.000 Quadratkilometer Land, eine Fläche knapp dreimal so groß wie beispielsweise die der Stadt London. Unter dem Namen Hyphen kooperiert das deutsche Unternehmen dabei mit dem Kapitalinvestor Nicholas Holdings, der unter anderem mit Eisenbahnverkehr in Afrika Geld verdient.
Die Unternehmen und die namibische Regierung werben für das Projekt mit den geradezu idealen Bedingungen: viel Sonne, Wind, Platz und damit vergleichsweise geringen Produktionskosten des grünen Wasserstoffs. Außerdem würden Arbeitsplätze, Technologie, Kapital und saubere Energie dem Land einen Entwicklungsschub verleihen.
Risiko für den Nationalpark
Allerdings entzündet sich die Kritik nun unter anderem daran, dass das Energieindustrievorhaben in einem Naturschutzgebiet liegt, dem Tsau Khaeb Nationalpark. Den beschreibt das namibische Umweltministerium selbst als außergewöhnlich reich an Tieren und Pflanzen. Beispielsweise soll dort ein Drittel aller Sukkulenten-Arten – wasserspeichernder Pflanzen – vorkommen, die es weltweit gibt. VertreterInnen unter anderem von namibischen Umweltorganisationen und Gewerkschaften erklärten dem damaligen Staatspräsidenten Hage Geingob Ende 2023 in einem Brief, dass schon in der ersten Bauphase des Hyphen-Projekts mehrere Biotope mit endemischen Pflanzen, die nur dort vorkommen, beschädigt oder zerstört würden. Der geplante Ausbau des Hafens von Lüderitz und der Export-Installationen für Ammoniak bedrohten außerdem Seevögel, Fische und Hummer. Die Klima-Allianz speist solche Argumente nun in diese hiesige Diskussion ein.
„Um die ökologischen Folgen durch Solarparks zu verringern, sollen sie in den östlichen Gebieten des Tsau Khaeb Nationalparks errichtet werden, wo die Risiken für Biodiversität am niedrigsten sind“, antwortete darauf Hyphen-Manager Sheldon Husselmann im Gespräch mit der taz. „Die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie nach namibischem Recht wird im dritten Quartal 2024 offiziell starten.“ Sie werde zwei Jahre dauern. „Bevor sie beendet ist, finden keine Bauarbeiten statt“, erklärte Husselmann.
Unbequeme Geschichte
Außerdem existiert dieses heikle Problem: In der Nähe des Hafens Lüderitz, der ebenfalls ausgebaut werden soll, lag zwischen 1905 und 1907 ein Gefangenenlager, in dem die Deutschen während des Kolonialkrieges tausende Angehörige der Völker der Nama und Herero töteten. Ihre Nachfahren fürchten, dass die Industrieansiedlung diese Geschichte begräbt, bevor sie richtig erforscht ist. Sie wollen an den Planungen beteiligt werden und fordern Entschädigung für das Land, das ihnen die Kolonialherren wegnahmen – Standpunkte, die die hiesige Gesellschaft für bedrohte Völker unterstützt. Unbequeme Fragen, besonders für ein deutsches Unternehmen.
Enertrag begann 1998 in Gut Dauerthal, einem Weiler im nordöstlichen Brandenburg, von wo aus Windparks entwickelt und betrieben werden. Seit 2022 firmiert die Firma als Europäische Aktiengesellschaft (SE) mit Zweigniederlassungen bei Paris und in Madrid. Etwa 1.000 Beschäftigte arbeiten für sie. Mittlerweile habe man Windanlagen mit einer Leistung von knapp zwei Gigawatt errichtet, von sich denen sich rund ein Gigawatt im Eigenbestand befinde, sagte Finanzvorstand Simon Hagedorn gegenüber der taz. Drei Milliarden Euro habe man bisher finanziert. Der Geschäftsbericht 2022/23 der SE weist einen Jahresumsatz von 209 Millionen Euro und einen Jahresüberschuss von 57 Millionen Euro aus. Vor diesem Hintergrund könne Enertrag auch ein so großes Projekt wie in Namibia stemmen, so Hagedorn – zumal sich neben Nicholas Holdings weitere Investoren und Financiers beteiligen würden, etwa ein namibischer Staatsfonds.
Nicht nur die Regierung Namibias unterstützt das Vorhaben, auch die deutsche. Als er im vergangenen März eine Absichtserklärung mit Enertrag unterzeichnete, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Wasserstoffproduktion im Südwesten Afrikas liege im „strategischen Interesse Deutschlands“. Rainer Baake, Habecks Sonderbeauftragter für das Thema, begründet: „Namibia ist ein demokratisches Land mit stabilem Rechtssystem. Es bietet grundsätzlich gute Voraussetzungen für hohe ökologische Standards und verlässliche Lieferungen grünen Wasserstoffs.“
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