Deutsche Behörden entziehen Pässe: Flucht geschafft, Papiere weg
Polizei- und Ausländerbehörden behalten Pässe von Drittstaatler*innen ein, die aus der Ukraine fliehen. Das ist unrechtmäßig, mahnen Anwält*innen.
Mehr als vier Millionen Menschen sind bislang aus der Ukraine geflohen. Rund 310.000 haben die deutschen Behörden registriert, darunter Elsayed. Sechs Jahre hat der Ägypter in der ukrainischen Stadt Poltava gelebt und Medizin studiert. Dann kam der Krieg, er floh. Hinter der deutschen Grenze wurden er und seine Freund*innen von der Bundespolizei aus dem Zug geholt, mussten sich ausweisen und Fingerabdrücke abgeben.
Dann hätten die Beamt*innen ihnen eine Adresse gegeben: die des Landesamts für Einwanderung in Berlin. Während die anderen am Bahnhof warteten, gingen Elsayed und ein Freund dorthin. Als sie mit einem weiteren Termin im Folgemonat, aber ohne Pässe zurückkamen, gingen die anderen gar nicht erst hin. Sie sind inzwischen in anderen deutschen Städten. Elsayed und sein Freund hingegen saßen ohne Papiere fest.
Aktivist*innen berichten von mehreren Fällen in verschiedenen Bundesländern, in denen Landespolizei, Bundespolizei oder Ausländerbehörden die Pässe von vor dem Krieg geflohenen Nicht-Ukrainer*innen einbehielten. Der Berliner Flüchtlingsrat etwa begleitete eine Gruppe, die Anfang März in Deutschland ankam. Die Personen aus verschiedenen afrikanischen Ländern hatten sich ratsuchend an die Berliner Polizei gewandt, wollten wissen, wo sie den für Ukraine-Flüchtlinge vorgesehen Schutzantrag stellen könnten. „Stattdessen wurden ihnen die Pässe abgenommen“, sagt Nora Brezger von der Hilfsorganisation.
Keine Rechtsgrundlage für das Einbehalten von Pässen
Die EU-Staaten haben für Geflüchtete aus der Ukraine erstmals die sogenannte Massenzustromrichtlinie in Kraft gesetzt, nach der die Menschen ohne langwieriges Asylverfahren sofort einen vorübergehenden Schutzstatus und eine Arbeitserlaubnis bekommen können. Diese gilt vor allem für ukrainische Staatsbürger*innen. Drittstaatler*innen finden nur unter bestimmten Umständen denselben Schutz. Doch zusätzlich hat das Bundesinnenministerium verordnet, dass alle Ausländer*innen, die aus der Ukraine fliehen, unabhängig von ihrer Nationalität bis Ende August ohne Visum rechtmäßig nach Deutschland einreisen und sich ohne Aufenthaltstitel hier aufhalten dürfen.
„Damit ist zumindest aufenthaltsrechtlich das Einbehalten von Pässen nicht möglich“, erklärt auf Nachfrage das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA). Der Sprecher berichtet von Fällen „einzelner Personen“, die angaben, ihre Pässe seien von den Polizeibehörden einbehalten und sie seien wie Elsayed aufgefordert worden, beim LEA vorzusprechen. „In diesen Fällen wurde hier versucht festzustellen, ob ein Dokument, wie behauptet, beim LEA einliegt. In einem solchen Fall würde es auch unverzüglich herausgegeben“, so der Sprecher.
Doch der Stempel auf Elsayeds Kopien belegt: Der Pass wurde vom LEA selbst einbehalten. Und trotz der Angaben des Pressesprechers dauert es ziemlich genau einen Monat, bis der junge Ägypter seine Dokumente zurückbekommt. Einmal sprechen er und sein Freund erfolglos beim LEA vor. Erst nachdem Hilfsorganisationen für sie Druck machen, bekommen sie ihre Pässe ausgehändigt.
Flüchtlingsrat beklagt Unwissen
Dabei halten sie sich bis Ende August rechtmäßig im Land auf – und unter bestimmten Umständen haben danach auch Nicht-Ukrainer*innen Anspruch auf den unbürokratischen Schutz, den Ukrainer*innen derzeit erhalten. Etwa dann, wenn sie ukrainische Familienangehörige haben oder wenn sie „nicht sicher und dauerhaft“ in ihr Herkunftsland zurückkehren können.
Allzu oft würden diese Umstände aber von der Polizei gar nicht erst abgefragt, bevor sie die Pässe von Drittstaatler*innen einbehalten, sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat. So sei unter den Betroffenen ein nigerianisches Ehepaar, dessen Kind die ukrainische Staatsbürgerschaft hat – womit auch die Eltern schutzberechtigt sind. „Hier mischt sich offenbar totales Unwissen über die geltende Rechtslage mit rassistischen Vorurteilen“, sagt Brezger.
Auch der Düsseldorfer Rechtsanwalt Malek Shaladi kann von mehreren Fällen berichten. Es handle sich um Personen aus afrikanischen Staaten, vor allem Nigerianer*innen. Bislang habe nur ein Teil von ihnen die Dokumente wieder von der Ausländerbehörde zurückbekommen.
Polizei spricht von „Identitätsprüfung“
Die Stadt Düsseldorf antwortet auf taz-Nachfrage, es seien rund 20 nichtukrainische Dokumente „vorläufig einbehalten“ worden. Dies sei „lediglich zur Identitätsüberprüfung“ geschehen, die Papiere seien „zum Teil wieder ausgehändigt“ worden. Die Berliner Polizei erklärt, derzeit würden keine Pässe von aus der Ukraine Geflüchteten einbehalten, „sofern keine Anzeichen auf eine Verfälschung oder eine missbräuchliche Nutzung der Dokumente“ vorlägen. Der Fall der vom Flüchtlingsrat betreuten Gruppe befinde sich derzeit „in der Klärung“. Auch die Bundespolizei schreibt, die Sicherstellung von Dokumenten könne dann erforderlich sein, wenn bei Personen „erhebliche Zweifel an der Vertriebenensituation vorliegen“. Wie viele Pässe bislang einbehalten wurden? Dazu macht keine der Behörden Angaben.
Rechtsanwalt Shaladi genügen diese Erklärungen nicht. „Wenn es um die Identitätsfeststellung ginge, dann müssten doch alle aus der Ukraine kommenden Personen überprüft werden, nicht nur die ohne ukrainische Staatsbürgerschaft. So aber scheint es, als werde dieser Gruppe pauschal unterstellt, gefälschte Dokumente vorzulegen.“ Auch passe das nicht zu dem, was manchen Betroffenen gesagt werde. So berichtete ein nigerianischer Staatsbürger dem Anwalt, ihm sei erklärt worden, man bereite mit dem Pass seinen Rückflug nach Nigeria vor – er brauche auch nichts dafür zu zahlen.
Dabei besage die Rechtslage ganz klar, dass er bis Ende August nicht nur bleiben, sondern sich „auch um einen Aufenthaltstitel bemühen“ dürfe, sagt Shaladi – sei es nun nach der Massenzustromrichtlinie, durch ein Studium oder auf andere Art. Jetzt Prozesse anzustoßen, seinen Aufenthalt zügig zu beenden, sei rechtswidrig. „Das Gesetz ist eindeutig und ja nun schon mehrere Wochen alt, das sollte in den Behörden doch angekommen sein.“
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