: Deutsche Aufklärung 1994
■ betr.: „Voltaire wäre entsetzt“, taz vom 15.3.1994 von Claus Leggewie
[...] Ist es nicht bezeichnend, daß sich diese Pseudoliberalen genau dann an Voltaire und die Freiheit der Meinungsäußerung erinnern, wenn es um „Rederecht für Faschisten“ geht? Leggewie regt sich über ein geplatztes Pläuschchen mit dem Vordenker der ‘Neuen Rechten' mehr auf als über die Tatsache, daß die BRD-Gesetze „Verunglimpfung des Staates“ mit bis zu drei Jahren Knast bestrafen (§90a StGB).
[...] In der Aufklärung ging es, wie heute noch genauso, darum, die Meinungsfreiheit gegen die Herrschenden durchzusetzen, die die Macht haben, unerwünschte Meinungen zu unterdrücken. Leggewie verkehrt diese Stoßrichtung völlig ins Gegenteil.
Alain de Benoist ist kein verfolgter Dissident. Er wird von niemandem daran gehindert, seine Meinung frei zu äußern. Er wird nicht wegen seiner Gesinnung mit Strafe oder Knast bedroht, seine Schriften werden nicht verboten, beschlagnahmt und verbrannt, sondern er kann sie unbehelligt veröffentlichen und verbreiten. Wer sich damit auseinandersetzen will, kann das ohne weiteres tun.
Worüber regt sich Leggewie denn nun auf? Darüber, daß Benoist in Moers „kein Podium geboten“ wurde, daß ihm „das Podium verweigert“ wurde, daß „keine Debatte mit Rechthsradikalen“ geführt wurde, daß sich nicht mit dem „Kritiker der Demokratie (und) der Menschenrechte auseinandergesetzt“ wurde, daß die „Auseinandersetzung mit Rechten“ nicht „gesucht“ wurde, daß Leute nicht „mit Rechten reden“ wollten. Das sind Leggewies Formulierungen. Kurz gesagt, die Weigerung, mit Nazis zu diskutieren oder ihnen ein Forum zu bieten, setzt Leggewie mit Zensur gleich. Toni Menninger, Würzburg
Es gibt nicht nur „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ (in diesem Falle der Rechten), sondern auch das Motto „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“, denn sie würden sie schnellstens abschaffen. Vorher machen sie sich noch lustig über den liberalen Staat, der ihnen die Möglichkeit dazu gab. Zwischen Voltaire, Rosa Luxemburg und uns liegt eben die Erfahrung des Holocaust, der uns gegenüber konservativen Revolutionären Grenzen ziehen läßt.
Die Frage kann doch nur lauten: Liegt de Benoist dies- oder jenseits der Grenze, bis zu der noch eine geistige Auseinandersetzung sinnvoll ist? Die taz täte den Lesern etwas Gutes, wenn sie nicht nur die Polemik Leggewies brächte, sondern auch einmal die Abstrusitäten von de Benoist referieren ließe.
Man kann die Begründung der Stadt Moers für die Absage für falsch halten (ist es nicht ein Fehler vieler Verwaltungen, daß nur administrativ, aber nicht politisch argumentiert wird?). Tatsache ist, daß sich eine Mehrheit für die Absage fand, von der auch Leggewie betroffen war. Es ist völlig unbestritten, daß er, Glotz, Sombart und Christadler imstande sind, de Benoist zu widerlegen. Vielleicht wollen wir diesen Mann einfach nur nicht in unseren Stadtmauern sehen. Es wäre natürlich besser gewesen, solches vor der Einladung zu klären.
Nichts hindert die beteiligten Professoren übrigens, de Benoist in ihre Seminare einzuladen und dort mit ihm zu diskutieren. Am Mut dazu soll es ihnen nicht fehlen, und die Autonomie der Hochschulen gibt den rechtlichen Rahmen. Eine Volkshochschule aber sollte irgendwie auch immer den Bürgerwillen repräsentieren. Reinhard Finck, Moers
Sehr geehrter Herr Leggewie!
Um mich vorzustellen: Ich bin eines der Ratsmitglieder, die sich gegen das öffentliche Auftreten von Herrn Benoist ausgesprochen haben. Ich tue es auch jetzt noch, nachdem mir von verschiedener Seite mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen wird.
[...] Nicht die von ihnen unterstellten „Brandartikel, ein paar Gerüchte und anonyme Anrufe“ haben mich zu meiner Meinung gebracht, sondern die Lektüre von Texten des Herrn Benoist.
Seine Verherrlichung der Kraft, seine Forderungen nach kultureller Separation, nach einer Herrschaft der Eliten, nach Aufhebung der politischen Grundsätze von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit führten und führen geradwegs in Terror und Krieg und müssen den Widerstand aller demokratischen Parteien hervorrufen. Sie stehen auch im krassen Gegensatz zu meinem politischen Handeln im und außerhalb des Rates der Stadt Moers, das auf Integration und friedliches Zusammenleben gerichtet ist.
Wenn die Volkshochschule einen prominenten Vertreter der Neuen Rechten einlädt, so denkt jedermann, daß dies vor einigen Jahren noch nicht geschehen wäre. Die Bürger könnten daraus schließen, daß die rechten Kräfte ja wohl sehr wichtig sein müssen. Man gibt ihnen damit eine übertriebene Bedeutung.
[...] Als Kommunalpolitikerin (für Bündnis 90 — Die Grünen) bin ich regelmäßig mit den Folgen der praktischen Umsetzung des rechtsradikalen Gedankenguts befaßt, z.B. mit Angriffen auf ausländische Mitbürger. Mir liegt viel daran, daß rechtsradikales Gedankengut nicht verbreitet wird. Ich hatte weniger Sorge vor Attacken der „Verhinderungsgruppen im Ruhrgebiet“ gegen die Veranstaltung als vielmehr vor Attaken von Skinheads gegen Diskussionsteilnehmer, denn letztere haben in Moers früher schon eine städtische Jugendeinrichtung bedroht.
Meine Ablehnung der Veranstaltung hat nicht etwa den Grund, daß ich Ihnen und den anderen Diskussionsteilnehmern die nötigen Argumente nicht zugetraut hätte. Im Gegenteil: Ich schätze Ihre Argumente sonst sehr. Mit ihrem Artikel in der bundesweit verbreiteten taz spielen Sie aber aktiv das Spielchen mit, von dem Sie sich abgegrenzt haben: „Je stärker Debatten ... polarisiert werden, desto bedeutsamer wird der phänomenale Kontext gegenüber dem diskursiven Kern“. Ich muß leider beobachten, daß die anfänglich erfreulich inhaltliche Auseinandersetzung mit der Ideologie von Herrn Benoist (z.B. in der „Stattzeitung“) mit dem Fortschreiten der Diskussion immer mehr von einer Debatte um örtliche Machtfragen zugedeckt wird. Nun bekommt Moers eine breite und öffentliche Diskussion über das Thema „mit Rechten reden?“. [...] Elisabeth Hanke-Beerens, Moers
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