: Deutsche Arroganz
■ Bayer-Konzern gefährdet den Standort Japan
Über die Ökohysterie der Deutschen schimpfen unsere Wirtschaftsbosse immer gern. Doch welcher global denkende deutsche Manager hätte ausgerechnet die braven Japaner für fähig gehalten, den eigenen Konzern weltweit an den moralischen Pranger zu stellen?
Diese Fehlbeurteilung emanzipierter Kunden in einem fernen Land kommt das größte deutsche Chemieunternehmen, Bayer, jetzt teuer zu stehen. Schlimmer noch: Den Leverkusener Managern fehlt offenbar bis heute ein Ermessen für den unermeßlichen Flurschaden, den sie in Japan in diesen Tagen anrichten. Durch den Risikofaktor Bayer ist einer der wichtigsten ausländischen Standorte für die deutsche Industrie akut gefährdet. Man zerstört schließlich nicht den Ruf eines der angesehensten deutschen Unternehmen in Japan, ohne dort den Ruf der gesamten deutschen Industrie in Mitleidenschaft zu ziehen.
Was ist jetzt noch zu retten? Über zehn Jahre lang weigerte sich Bayer, die Verantwortung des Konzerns für die Verabreichung HIV-infizierter Präparate an Bluter-Patienten zwischen 1983 und 1985 einzugestehen – übrigens nicht nur in Japan, sondern ebenso in Deutschland und in den USA, wo Tausende geschädigte Bluter auf Entschädigung warten.
Die japanischen Richter aber stellen Bayer heute vor die Wahl: Entweder der Konzern beharrt auf seiner Unschuld, verhindert damit in Japan die von den Gerichten vorgeschlagene Vergleichslösung mit den Betroffenen und macht sich zum öffentlichen Buhmann. Oder er sieht endlich ein, daß unter der aufgehenden Sonne niemand eine Chance hat, der gegen einen gesellschaftlichen Konsens anrennt. Denn in Japan hat sich die Schuldfrage im Bluter-Skandal längst geklärt. Sogar die sich bisher für unfehlbar haltenden Bürokraten des Tokioter Gesundheitsministeriums warten heute auf Strafanzeigen.
Nun mögen Manager zwar nicht aus Menschlichkeit entscheiden dürfen – in diesem Fall hat Bayer allen Grund, den Opfern ihr Recht einzuräumen. Andernfalls würden die japanischen Kunden der deutschen Arroganz nicht verzeihen. Nicht nur Bayer könnte einen wichtigen Zukunftsmarkt verlieren. Alle deutschen Unternehmen in Japan würden leiden. Georg Blume, Tokio
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