Deutsch-türkische Rapperin Lady Bitch Ray: "Ich habe viel Wut in meiner Möse"
Reyhan Sahin nennt sich Lady Bitch Ray und kämpft als Porno-Rapperin für einen neuen Feminismus. Sieht so die Emanzipation der türkischen Frau aus? Ein (zensiertes) Gespräch über M*, F*und S*.
Ein Büro in Berlin-Kreuzberg. Reyhan Sahin, auch bekannt unter dem Künstlernamen Lady Bitch Ray, empfängt zum Interview. Die junge Porno-Rapperin nennt ihre Angestellten "Lustknaben". "Ich sage denen, wo es langgeht, und die haben das dann zu tun", sagt sie und hustet. Ob sie krank sei? "Nein, ich hatte nur zu viel Sex, und da bin ich ja immer nackt", antwortet Sahin. Sie hat eine Kette mit einem großen, glitzernden Anhänger um, an jeder Hand mehrere Goldringe, und ihr Oberteil schmücken Broschen. Ein Fotograf durfte nicht zum Interview kommen. "Ray kommt quasi direkt vom Bahnhof, und es wird keine Zeit für ein Styling geben, worauf sie (und wir) großen Wert legen", wie es ihr Management begründet.
taz: Frau Sahin, sind Sie ein "armes Provokationswürstchen im goldenen Glitzerdarm"? So hat Sie ein Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezeichnet.
Name: Reyhan Sahin Künstlername: Lady Bitch Ray Geboren: 3. 7. 1980 in Bremen
Die Rapperin: provoziert mit pornografischen Texten. So rappt sie in einem Lied "Komm, mein König, machs mir jetzt/ nimm mich richtig durch und ficke mir den Verstand weg." Sahin selbst bezeichnet sich als Künstlerin, ihre Texte seien Ausdruck für die türkisch-weibliche Emanzipation. Die Akademikerin: promoviert an der Uni Bremen im Fach Germanistik über die "Semiotik der Kleidung" und gibt Seminare. Die Schauspielerin: hatte ihr Debüt in dem von Fatih Akin mitproduzierten Film "Chiko". Sie spielt die Prostituierte Meryem. Kinostart: 17. April Zum Gespräch: Sahin legt Wert auf den Hinweis, dass dieses Gespräch von der taz "zensiert" wurde, was sie aber okay findet. Der Zensur zum Opfer fielen inflationär verwendete Kraftausdrücke wie Möse, Fotze, Schwanz
Reyhan Sahin: (kreischt) Journalisten versuchen immer, sprachlich kreativ zu sein. Das ist dem Autor aber hier nicht gelungen. Seine Mutter ist ein armes Provokationswürstchen. Außerdem kann man dicke Menschen so bezeichnen, aber mich nicht. Ich habe die geilste Figur - und bin kein armes Opferwürstchen.
Auf der Internetseite myspace.de werden Sie teilweise wüst beschimpft. Provokationswürstchen ist da noch diplomatisch. Stört Sie das?
Nö, ich brauche meine Feinde und meine Kritiker. Ich will nicht von jedem gelobt werden. Ich finde es geil, dass Menschen sich an meiner Person erregen.
Was soll denn daran geil sein?
Diese Gesellschaft ist so glatt gebügelt und verlogen, dass es doch kein Wunder ist, wenn man sich mit seiner eigenen Meinung Feinde macht. Wahnsinn, mit welch wenigen Worten ich Aufsehen erregen kann. Es ist auch ein Spiel für mich. Wäre ich keine Rapperin, dann wäre ich heute eine Boxerin. Ich habe viel Wut in meiner Möse, und die muss ich rauslassen. Ich fände es schade, wenn die Menschen nichts zu mir zu sagen hätten.
Aha, das hört sich nach einer Sucht nach Aufmerksamkeit an, ausgelöst durch Wut. Was macht Sie denn so böse?
Ach herrje, die Umwelt, einfach vieles. Es liegt auch in meiner prämenstrualen Natur, ich kann ganz schön aggro sein. Mein Sternzeichen ist Skorpion, ich habe einen Schwanz, mit dem ich zusteche.
Ist Ihre Musik ein Ventil für Ihre Wut?
Das kommt auf den Song an. Der Titel "ich hasse dich" handelt von meiner Wut. Rap ist auch ein geiles Ausdrucksmittel, um sich mal richtig auszukotzen. Man kann aber auch über Erotik singen oder politische Vorgänge.
Das, was Sie erotisch finden, bezeichnen andere als Pornografie.
Der Sex zwischen zwei Menschen ist immer weitestgehend pornografisch. Deswegen verstehe ich nicht, warum meine Texte immer nur auf Pornografie reduziert werden. Es steckt auch Liebe dahinter.
Warum nennen Sie die Popsängerin Sarah Connor eine "Kackbratze" und verlangen von Jeannette Biedermann, sie solle Ihnen "Ihre Möse frisieren"?
Die Biedermann ist doch gelernte Friseurin, sie soll einfach das machen, was sie am besten kann. Sorry, was war Ihre Frage?
Warum beschimpfen Sie denn die beiden?
Die zwei sind oberflächliche Musterfrauen, die ich verachte. Die achten darauf, wie sie reden, wie sie singen, die verhalten sich oberflächlich. Sarah Connor ist unerträglich. Die beiden haben sich doch hochgeschlafen. Ich ertrage diese oberflächliche Gesellschaft nicht.
Woher wollen Sie denn wissen, wie diese Damen ihre Karriere angeschoben haben?
Weil ich clever bin. Weil ich als Journalistin gearbeitet und recherchiert habe und jetzt als Künstlerin. Außerdem dürfen solche Frauen nicht als Vorbild gelten.
Aha, und Sie sind eher ein Vorbild?
Klar - ich stehe für die vaginale Selbstbestimmung und verkörpere die absolute Meinungsfreiheit.
Den Musiker und Ehemann von Sarah Connor, Marc Terenzi, bezeichnen Sie als "Boygroupschwuchtel"
ja, ist doch auch so.
Das ist ganz schön homophob, was?
Weil ich Schwuchtel sage? Im Rapkontext ist es ein gängiger Begriff. Ich habe natürlich nichts gegen Schwule, mein Friseur ist schwul. Ich will Marc Terenzi aber einfach niedermachen.
Warum müssen Sie sich solch niedriger Instinkte bedienen?
Also, wenn Homosexuelle es nicht verstehen, dass Schwuchtel ein gängiger Rapbegriff ist - sorry. Dann disse ich die eben auch.
Ist denn alles, was erlaubt ist, auch zumutbar?
Nein, natürlich nicht. Ich würde zum Beispiel Sarah Connor und Jeanette Biedermann nicht erschießen. Ich äußere mich durch meine Kunstform, die ich für sehr zumutbar halte.
Dieses Jahr debütieren Sie als Schauspielerin in dem Film "Chiko" des Regisseurs Özgür Yildirim. Sie spielen eine Prostituierte. Die Rolle hat Ihnen doch sicher gefallen?
Nein, nein. So einfach war das alles nicht. Ich bin von Fatih Akin gefragt worden und habe lange überlegt, ob ich diese Chance ergreifen soll.
Sie haben gezögert?
Ja, denn es gibt eine Hardcore-Bettszene, und ich wollte nicht, dass mein Vater das mal sieht.
Warum wollen Sie das nicht? Immerhin prahlen Sie damit, so offenherzig zu sein.
Nein, dafür werde ich sorgen. Ich möchte nicht, dass er mich so sieht. Es ist ein Unterschied für mich, ob ich mich nackt zeige oder öffentlich rumficke. Aber er weiß von der Szene.
Warum haben Sie denn mitgespielt?
Es war mir dann doch wichtiger, eine emanzipierte türkische Frau zu spielen. Ich habe diese Rolle mit Würde gedreht und keinen Porno wie Sibel Kekili, sondern eine künstlerisch und politisch anspruchsvolle Figur. Ich will, dass die türkischen Frauen selbstbewusster werden. Ich stelle mich hin, nehme die türkische Fahne und möchte, dass türkische Frauen auch Filme drehen können, ohne dass sie abgestempelt werden. Bin ja nicht umsonst ne Rapperin.
Was sagen Ihre Eltern zu Ihrer Arbeit?
Mein Vater liebt mich, ihm ist es egal, was ich mache. Natürlich gab es früher Konflikte, ich fing schon mit zwölf an, mich extrem zu entwickeln, und wollte schon damals Rapstar werden. Meine Waffe war aber meine Bildung: Ich war immer gut in der Schule, und das war meinen Eltern wichtig. Meine Mutter lacht darüber. Sie will wissen, warum ich das mache, und wenn ich dann sage, wegen der Emanzipation, dann antwortet meine Mutter: Ach so, du kämpfst den gleichen Kampf wie die Frau mit der Brille.
Sie meint Alice Schwarzer?
Ja genau, aber die ist zu alt. Die soll mal die Bühne räumen, jetzt komm ich.
Sie möchten das Bild der türkischen Frau in Deutschland verbessern. Durch hormongesteuerte Texte?
Mir ist es wichtig, dass das Opferbild der Türkin geändert wird. Ich mache das krasse Gegenteil davon, was von einer Türkin erwartet wird. Ich will mich nicht als gebildete Kanaka präsentieren, ich will auch als Künstlerin akzeptiert werden.
Wenn Sie eine Kulturkritikerin sind, warum singen Sie nicht mal über andere Themen als über sexuelle Inhalte?
Mein neues Album kommt noch in diesem Jahr raus. Auf diesem befinden sich auch Songs über politische Themen. Meine Ausdrucksform ist krass, aber trotzdem kann ich auch über andere Themen singen. Zum Beispiel rappe ich auch über Ehrenmorde und stolze türkische Frauen. Aber das mache ich jetzt nicht, um mich zu rechtfertigen. Ich bin halt ein sexueller Mensch.
Sie behaupten, türkische Werte zu verteidigen. Welche sind das?
Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Familienzusammenhalt und Ehre.
Ich befürchte, der Großteil der türkischen Community hat eine andere Definition von Ehre als Sie.
Sicher, die Art, wie ich die Ehre verteidige, ist sehr streitbar. Aber nur weil ich eine extreme Kunstform dafür verwende, kann ich doch die Ehre verteidigen. Es geht nicht darum, was ich anziehe oder was ich mache - es geht darum, was ich sage. Ich mache nichts heimlich, ich stehe zu allem. Aber ganz abgesehen von den Türken - die Deutschen stören sich viel mehr an meiner Person.
Aha.
Ja, die warten doch darauf, dass ich "Fotze" sage, um sich dann aufzuregen.
Leben Sie eigentlich gern in Deutschland?
Ich liebe Deutschland, denn erst hier konnte ich zu dem werden, was ich heute bin. Wenn ich in der Türkei aufgewachsen wäre, dann würde ich auch rappen - aber eher nichts sagende Texte. Ich bin ein deutsches Produkt.
Wenn es Ihnen hier so gut gefällt, warum singen Sie dann "Deutschland ich ficke dich in den Arsch"?
Weil ich eine Wut auf die hiesige Gesellschaft habe. Und weil ich hier lebe, ficke ich halt Deutschland in den Arsch. Wenn ich in der Türkei leben würde, dann würde ich es dort machen.
Muss man männlichen Chauvinismus bekämpfen, indem man weiblich-chauvinistisch argumentiert?
Wenn man wie ich so fühlt und denkt, dann funktioniert es. Ich mache das ja nicht, weil ich Männer ärgern will. Ich war schon immer so. Ich war früher sogar noch krasser, also setzte ich das in meiner Kunst auch ein. Außerdem -wenn Männer das dürfen, warum soll ich das nicht machen?
Leiden Sie eigentlich an völliger Selbstüberschätzung?
Nein, ich habe zwar eine Profilneurose und bin Narzisstin. Eigentlich finde ich, ich unterschätze mich manchmal sogar etwas. Aber leiden? Sehe ich aus wie jemand, der leidet?
INTERVIEW: CIGDEM AKYOL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz