: Destruktive Religion
Durchgeknallte Adlige aus dem Rockmusical: Am Donnerstag traten The Hives in der Columbiahalle auf
Sind die Hives die größte Rockband des Planeten? Oder doch nur alberne Poser, hochgejubelt von einer einfallslosen Musikpresse? Und was ist denn so besonders an diesem 60er-Jahre-Retro-Garagenrock?
Auf diese Fragen gab es am Donnerstagabend in der gut gefüllten Columbiahalle eine Antwort. Kaum haben die „Hives“ die Bühne betreten, legen sie los, inszenieren sie sich in ihren schwarzweißen Anzügen und weißen Gamaschen als besessene Comicfiguren. Der große dicke, peinliche Rhythmusgitarrist schwitzt und ächzt am Instrument, der grimassierende Gitarrist Nicholaus Arson nimmt sich zwischen seinen rasenden Riffs Zeit für alberne Gesten: Immer wieder pustet er sich die heiß gespielten Finger kühl. Und was Sänger Howlin’ Pelle Almqvist vollführt, ist kein Dandytum mehr, das lässt sich nur noch mit dem Gebaren eines bis zur Blödheit degenerierten, durchgeknallten Rockmusical-Adligen vergleichen.
Die Nase hochmütig erhoben, stakst er roboterhaft über die Bühne, geht in den Gockelgang über, dirigiert mit geziert kreisendem Handgelenk das Publikum, versucht Boxentürme zu erklimmen, verbiegt sich am Mikroständer. Gewiss erinnert da einiges an die Choreografie eines Mick Jagger oder Iggy Popp, aber diese alten Herren haben eben Standards gesetzt. Und Almqvist belässt es nicht beim Singen und Tanzen. „People from Berlin!“, ruft er, ganz größenwahnsinniger Imperator, ins Publikum: „Do you like to work?“ Weil das sympathische Berliner Publikum die Frage johlend verneint, geht er zum Thema „Die destruktive Religion der Hives“ über.
Vielleicht könnte man bei den Songs, bei all dem in Beats, Riffs und Rhythmen gepressten Wahnsinn, bei allem punktgenauen Zusammenspiel, eine Melodiösität, eine Tiefe vermissen, im Publikum vermisst das keiner. Man kann es nicht anders sagen: Es geht voll ab, vor allem bei den Hits „Walk Idiot Walk“ und „Hate to say I told you so“. Hier wogt und pogt die Menge, als gäbe es kein Morgen, bis immer mehr der noch im Wachstum befindlichen Jugendlichen meist männlichen Geschlechts aus der wogenden Menge taumeln und mit klatschnassen Hemden und wirrem Blick zu Boden sinken.
Die Hives mögen nicht die allergrößte Rockband aller Zeiten sein, aber ihre Konzertinszenierung hat Leidenschaft und Glam und bietet den unterhaltsamsten Garagen-Punkrock, den man sich vorstellen kann.
CHRISTIANE RÖSINGER