■ Vergleichende Mode im Jahre 4 nach der Wende: Des Ostlers neue Kleider
Berlin (taz) – Von des neugeborenen Volkes neuen Kleidern ist hier zu berichten, vom Gewande des selbstbewußten Neufünfländers. Ja, wie gibt er sich wohl im Jahre 4 nach dem Fall der Mauer? Geht er in gepflegter Trauerkleidung einher und verzehrt seine Gedenktagsschnäpse im fröhlichen Aufbaublau des wohlbewahrten FDJ-Hemdes, oder ist ihm gar nicht mehr anzusehen, daß ihn einst VEBs fürsorglich in Dederon und Polyester hüllten? Eigentlich dürfte sich kein Neufünfländer wegen Kleidersorgen grämen, wo doch gleich nach der Wende alle namhaften Versandhäuser auszogen, dem wirren Osten eine flächendeckende Kleiderordnung zu geben.
Wie leuchtet es, zweimal im Jahr zum Saisonwechsel, gar lieblich auf allen jenelbigen Briefkästen von dicken Modekatalogen, von Ottos, Quelles oder Neckermanns, wie klingelt und bauert es in den Hausfluren, auf daß noch die versonnenste Großmutter im Osterzgebirge in den Besitz eines forschen Mickey-Mouse-Big- Shirts gelange. Auch T-Shirts mit anmutigen Schleifen dran, jeweils in Mintgrün, Apricot oder Pink lieferbar, schlägt man den Eingeborenen zum Bedecken der Blöße vor. Als wahrhaft demokratisch ist die Einrichtung von Versandhäusern anzusehen, die Außenseiter zur Masse machen und Massen die Scham der Außenseiter nehmen.
Gleichermaßen weiter Verbreitung erfreuen sich die ambulanten Modewarenhändler mit ähnlichem Angebot: scheußlich gesprenkelte Work-Out-Hosen mit Taillenbindeband, die schrecklichsten Faltenröcke und die wagemutigsten Longblusen mit den zierlichsten Goldknöpfen stehen zum Verkaufe. Wer diese Chance nicht nutzt, soll hinterher nur nicht darüber maulen, daß er nicht als das erkannt wird, was er jetzt vorzustellen hat: ein neugewandeter Neufünfländer. Immer wieder trifft man in Zügen und Bahnhofsrestaurants auf ältere Vertreter lange vergangener Kleiderordnungen, die sich durch kaffeebraunen Anzug, Strickpullunder und kariertes Hemd sogleich als bescheidene Ost-Brote zu erkennen geben (genauer als Ost-Rentner). Sie ernten, ganz wie es dem Betrachter frommt, Rührung oder Mißfallen, haben sie doch das Gebot der Stunde nicht erkannt, welches da lautet: Tarne dich, du Mensch der neuen Zeit. Assimilation statt Osmose!
Das modische Tarnen obliegt in seiner Weite und Vielfalt wohl eher den Jüngeren, die auch gern hundert Prozent Polyester vom Trödel oder aber die schweineteure Stüssi-Jacke auf der bloßen Haut tragen. Hauptsache, es mutet nur recht schrill an. Pfui, riefen wir Kleiderkonservativen erst neulich aus, als unsere beste Freundin Pamela ganz „grungig“ mit einer Wollmütze erschien, in die eine Dollarnote eingestrickt war. So nähern sich unverhofft Klassen und Schichten, der staatsmonopolistische Kapitalismus und seine Gegenkultur einander an. Und der Ostler hat es längst begriffen: Einigkeit macht stark.
Noch nicht gelernt hat es der Neufünfländer, sein fettes ABM- Salär in noblen Boutiquen so richtig rauszuschmeißen. Zu tief sitzt des Mangelsozialisierten Ehrfurcht vor der Eleganz, die zum Außenseiter macht. Dabei winken doch Ermutigung, Rat und Abhilfe bei äußerlicher Unsicherheit. Bild der Frau hat sie furchtlos ans Licht gezerrt, die „zehn häufigsten Fehler der Ostfriseuse“, die eigentlich hübsche, anmutige Frauen zu Büropudeln stylen. Wir rücken hingegen anderes ins Licht: das stille, bedauerliche Verschwinden von bedeutsamen Kulturgütern, von Nylonbeuteln, Römerlatschen und Shell-Parkas im Schatten von Woolworth und Kaufhof. Anke Westphal
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