: Des Kaisers Schweine-Disko
FESTIVAL In der Schwankhalle dreht sich noch bis Sonntag alles „Um Natur“ – die Veranstaltungsreihe umkreist ihr Thema vielseitig und interdisziplinär
von Andreas Schnell
Ein Anstoß war ein Hörspiel, in dem Künstler nach altertümlichen Beschreibungen die Gesänge ausgestorbener Vogelarten nachempfanden. Ein weiterer Impuls kam laut Anja Wedig, einer der Kuratorinnen von „Um Natur“, aus der alltäglichen Begegnung mit Natur: „Als junge Mutter stellte ich fest, dass ich meinem Kind nicht sagen konnte, an was für einem Baum wir beim Spazierengehen vorbeikamen.“
Und schließlich: Die Natur erscheint ja tagtäglich in den Medien – als gefährdet, mit existenziell bedrohlichen Folgen. Die Inspiration der Künste durch Natur auf der einen, eine gewisse Hilflosigkeit letzterer gegenüber auf der anderen Seite entsprang die Idee zu der Veranstaltungsreihe „Um Natur“. Und sie spiegelt diese unterschiedlichen Bedürfnisse wider: Expertenrunden erörtern Themen wie das Empfinden von Schönheit, das Wesen des Menschen, seine eventuelle Geschaffenheit, um persönliches Naturerleben.
Der forschende Ansatz des Festivals bedingt eine gewisse Unberechenbarkeit: So sorgte die Bremer Kulturwissenschaftlerin (vom Playboy einst zur „renommierten Sex-Forscherin“ ernannte) Ingelore Ebberfeld in einer Talkrunde zum Thema „Schönheit irritiert“ durchaus für Amüsement, als sie vehement auf ihrer Kernthese beharrte, dass der Mensch, vor allem aber die Frau Partnersuche primär zur Arterhaltung betreibe und sich entsprechend herrichte. Die Leipziger Künstlerin und Philosophin Konstanze Schwarzwald wiederum bot mit einem Vortrag zu Nietzscheanischer Körperphilosophie akademisch-konzentrierte Anregungen, die vom Publikum allerdings rege aufgegriffen wurden.
Nach den Expertenrunden erforscht „Um Natur“ allabendlich eine Leerstelle: „Wir haben festgestellt“, erklärt Anja Wedig, „dass es in den darstellenden Künsten wenig Auseinandersetzung mit der Natur gibt, anders als in Literatur, Musik oder den bildenden Künsten.“
Bei der Recherche nach einschlägigen Texten stieß man unter anderem auf das Stück „Ich ersehne die Alpen; so entstehen die Seen“ von Händl Klaus, das zur Eröffnung der Reihe am vergangenen Samstag Premiere hatte und noch bis zum 21. November zu sehen ist. Das Stück zeigt mit Hang zur Groteske die Kluft zwischen Natur-Sehnsucht und der „wahren“ Natur der Natur. Eine Performance-Installation von Cora Frost als Hans Christian Andersens chinesische Nachtigall spielte virtuos und hinreißend trashig mit dem Märchen, dessen gar nicht so heimlicher Höhepunkt batteriebetriebene Spielzeugtiere waren, von denen einige in des Kaisers geheimer Schweine-Disko tanzten. Frost war außerdem in der „Matrix“-Adaption des Berliner Figurentheaters „Das Helmi“ zu sehen, die mit vor allem aus alten Matratzen gefertigten Figuren und anarchischem Witz nicht nur ihr Publikum zum Lachen brachte.
Die letzten Festival-Tage bestreitet „Grüne Kriege“ von den Lunatiks (Samstag) und „Alberts Garten“ (Sonntag), jeweils gefolgt von Naturfilmen, die zeigen, wie sich das Genre seit Disneys „Die Wüste lebt“ entwickelt hat. Zu einem Befund im engeren Sinne, so Wedig, habe die kuratorische Forschungsarbeit nicht geführt. Das Publikum aber kann sich an vielen kreativen Pflanzen erfreuen, die in und um Schwankhalle herum gedeihen – nicht nur im Rahmen von „Um Natur“.
■ „Um Natur“ heute und morgen ab 19 Uhr; „Ich ersehne die Alpen; so entstehen die Seen“ außerdem Donnerstag bis Samstag kommender Woche, 20 Uhr, Schwankhalle