: Der verlorene Sohn
■ Eberhard L. wegen Körperverletzung vor Gericht / Einweisung in die Psychatrie?
„Manchmal habe ich schon Angst vor meinem Sohn,“ sagt die Mutter des Angeklagten. Als Zeugin will sie gegen ihn aussagen – und beginnt zu weinen. Dann aber fängt sie sich und erzählt dem Gericht, wie ihr Sohn Eberhard L. ihr Haus verwüstet hat. „Drei Fenster hat er eingeschlagen, aber bisher sind sie nur notverglast. Das hat Eberhard ja schon so oft bei uns gemacht, daß ich das jetzt nicht gleich reparieren lasse.“ Als sie den Saal verläßt, weint sie wieder. Trotzdem besteht sie darauf, vom Urteil informiert zu werden.
Eberhard L. steht vor dem Amtsgericht wegen schwerer Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung. Drei Frauen treten als Zeuginnen und Nebenklägerinnen auf und erzählen ihre leidvollen Erfahrungen mit dem Angeklagten, sein Bruder spricht von dem abgerissenen Kontakt und der Gutachter attestiert dem Angeklagten laut Strafgesetzbuch eine „schwere seelische Abartigkeit“. Eberhard L. dagegen gibt sich gelassen, unterbricht die Verhandlung sooft er will und treibt Richter, Zeugen und seine Pflichtverteidigerin mit seinen Querschüssen an die Grenzen ihrer Geduld. Er benimmt sich nicht, wie man es von einem Angeklagten bei Gericht erwartet: Er redet ungefragt, unterbricht die Zeuginnen, hält einen Dialog mit dem Gutachter. Der Richter läß es zu, daß L. der Anwältin der Nebenklage Kokainbesitz vorwirft und seine Verteidigerin immer wieder vor den Kopf stößt. Eberhard L. führt sich mit seinen 37 Jahren auf wie James Dean in dem Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“: Ein nervtötender Halbstarker.
Leider ist Eberhard L. kein Halbstarker, sondern ein kräftiger Mann. Kräftig genug, um seine Freundinnen grün und blau zu prügeln. Zwei von ihnen sagen aus: Wie er zu Beginn der Beziehung langsam aber sicher in ihre Wohnung einzog und diese übernahm, die Räume mit Beschlag belegte und die Frauen terrorisierte. Als sie ihn rausschmeißen wollten, schlug er zu: Die eine Frau bekam einen Faustschlag ins Gesicht und Tritte mit dem Stiefel, daß ihr zwei Rippen brachen. Eine andere Freundin würgte und schlug er so lange, bis sie kurz vor der Ohnmacht stand. Eine Frau, die ihn im Treppenhaus bat, seinen Schrott von ihrem Parkplatz zu räumen, würgte er und warf er die Treppe hinunter. „Das kann so gewesen sein“, meint L. auf die Frage nach seiner Schuld. Eberhard L. ist ein Mensch, mit dem man sich besser nicht anlegt.
„Seit Jahren schreiben wir Anzeigen, aber nichts passiert“, sagt Eberhards jüngerer Bruder. Solange der Terror in der Familie passierte, war die Polizei nicht interessiert, der sozialpsychiatrische Dienst habe ihm jedes Mal etwas anderes geraten. Jetzt muß Eberhard L. sich auch für die Verwüstung des elterlichen Hauses verantworten: Scheiben, Regale und Fernseher zerschlagen, Löcher in die Wände gebohrt und den Bruder mit einem Hammer bedroht. „Das geht schon seit Jahren so, Ruhe haben wir erst seit fünf Monaten – seit Eberhard in Untersuchungshaft sitzt“. Im Zeugenstand wechselt er kein Wort und keinen Blick mit seinem Bruder. Im Knast will er seinen Bruder trotz allem nicht sehen, aber seine größte Angst ist, daß Eberhard L. sich wieder frei bewegen kann: „Dann geht wieder alles von vorne los.“
Ein „Zigeunerleben“ bescheinigt der Gutachter Lothar Rödzus dem Angeklagten: Glückliche Kindheit, Verehrung für den Vater, der früh starb und ihm die Liebe zu Autos vermachte: Kein Schulabschluß, keine Berufsausbildung, Arbeit nur als Autobastler und immer unterwegs zwischen Bremen und Frankreich. „Der Angeklagte schlug sich durch und floh aus jeder festen Beziehung, kann sich nicht anpassen und kann Kritik nicht ertragen“, meint der Gutachter. „Bis heute hat er sein Leben nicht im Griff, es fehlt ihm ein roter Faden in seinen Aussagen und im Leben.“ Der Bruder sagt: „Eberhard hat Schwierigkeiten mit allen Menschen, die ihm zu nahe kommen.“
Der Psychologe nennt es mit Namen: Identitätsstörung und „Borderline-Syndrom“ führen für ihn laut Gesetz zu verminderter Schuldfähigkeit. Der Lauf des Verfahrens und das Verhalten des Angeklagten bringen Richter Eder noch zu einer anderen Überzeugung: Er will nicht unter Anrechnung der verminderten Schuldfähigkeit verurteilen, sondern erwägt die Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt. Denn wenn Eberhard L. auf freien Fuß gesetzt wird, kann der Gutachter für nichts garantieren: „Weitere ähnliche Straftaten sind möglich und wahrscheinlich.“ Die Entscheidung über die Einweisung aber muß das Landgericht treffen; also wird das Verfahren auf diese nächsthöhere Instanz übertragen. Wenn das Landgericht dann nach einem neuerlichen Gutachten die Einweisung anordnet, verhängt es damit eine schwere Sanktion: Die Unterbringung ist unbefristet, eine Verlängerung wird einmal im Jahr überprüft. Aus der geschlossenen Psychiatrie kommt man so schnell nicht wieder ins normale Leben zurück. Bernhard Pötter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen