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taz FUTURZWEI

Der taz-FUTURZWEI-Kommentar Frauen gegen Autos

Gegen den europäischen Trend gibt es in der Schweiz eine politische Mehrheit von Frauen, Niedrigverdienern und Leuten vom Land für eine zukunftsorientierte Mobilitätspolitik. Warum nicht auch in Deutschland?

Demonstrantinnen bei einer Aktion gegen den Ausbau der schweizer Autobahnen Foto: picture alliance/dpa/KEYSTONE | Anthony Anex

taz FUTURZWEI | Das Auto war Motor der Wirtschaft und Garant der individuellen Freiheit. War. Nun aber ist es wegen der zerstörerischen Folgen seines Erfolges fürs Klima, die Umwelt, die Infrastruktur und fürs menschenwürdige Zusammenleben in Stadt und Land zur politischen Brandmauer mutiert. Wer dem Bürger das Autofahren und alles was dazu gehört erschweren, verteuern oder auch nur vermiesen will, der hat beim Wahlbürger von vornherein verloren.

Stimmt das wirklich überall?

Am 24. November diesen Jahres haben die Schweizer in einer Volksabstimmung mit 52,7 Prozent gegen den weiteren Ausbau der Schweizer Autobahnen gestimmt. Die 4,9 Milliarden Schweizer Franken schwere Vorlage sah die Erweiterung mehrerer viel befahrener Streckenabschnitte mit jeweils einer dritten Spur und die Verbreiterung mehrerer Alpentunnel durch neue Röhren vor. Wichtigstes Argument der Befürworter des Autobahnausbaus war der ökonomische und ökologische Schaden der Dauerstaus – 48.000 Stunden verbrachten die Schweizer Autofahrer 2023 im Stau – sowie das Vermeiden von Ausweichverkehren über Nebenstraßen, durch Dörfer und kleine Städte.

Die Argumente der Gegner des Autobahnausbaus sind, zumindest in der Schweiz, handlungsleitendes Allgemeinwissen geworden. Mehr Straßen führen zu immer mehr Verkehr und zu noch mehr Stau. Daran würde auch die komplette Umstellung der Flotte auf E-Autos nichts ändern. Mehr Straßen, mehr Autoverkehr führen derzeit auch noch zu mehr Verbrauch von immer teurer werdenden fossilen Brennstoffen, zu einem steigenden CO2-Ausstoß. Die beim Autobahnausbau benötigten Milliarden Franken würden beim weiteren Ausbau des ohnehin in der Schweiz schon luxuriösen öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, beim Durchsetzen der Autofreiheit in den Stadtzentren sowie für intelligente öffentliche Nahverkehrsangebote in den ländlichen Räumen fehlen.

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Die Wende in der Schweiz haben Frauen herbeigeführt

Mit der Ablehnung des weiteren Ausbaus der Autobahnen wird in der Schweiz die Verkehrswende in Städten, Gemeinden und in der Fläche zum Staatsprogramm, und zwar ohne parlamentarische Umwege vom Bürger direkt erzwungen. In der langen Reihe von Volksabstimmungen in den letzten drei Jahrzehnten zum Ausbau des Straßen- und Mobilitätsnetzes wird damit erstmals der weitere Ausbau des überörtlichen Straßennetzes abgelehnt.

Die Wende haben Frauen herbeigeführt. 56 Prozent der an der Abstimmung beteiligten Frauen hat gegen den weiteren Ausbau der Autobahnen gestimmt, während 61 Prozent der Männer für den Ausbau votiert haben. Nur als Hinweis: In der Schweiz wurde das allgemeine Wahlrecht für Frauen erst 1971 eingeführt. Es dauerte sogar bis 1990, ehe nach einer Klage von Frauen das Bundesgericht das Frauenwahlrecht auch bis in den letzten Kanton durchgesetzt hat.

Sortiert nach Einkommen haben bei der Abstimmung über 57 Prozent der als niedrig eingestuften Einkommensbezieher gegen den Ausbau gestimmt, während die Besserverdienenden mit 62 Prozent dafür waren. Sogar in den als ländlich eingestuften Regionen der Schweiz haben 53 Prozent gegen den Autobahnausbau gestimmt.

Man könnte nun versucht sein, dieses Abstimmungsverhalten nach dem Asterix-Obelix- Muster als zwar unterhaltsame, aber faktisch unbedeutende Marotte von ein paar Leuten an den Hängen der Alpen abzutun. Aber so erstaunlich das sein mag: Es gibt in der Schweiz jenseits der Parteien und entgegen dem allgemeinen Trend in Europa eine aktive politische Mehrheit von Frauen, Niedrigverdienern und Leuten vom Land für gut begründete Öko-Vernunft-Argumente.

In Deutschland gibt es keine ernstzunehmende Mobilitätspolitik, die nicht aufs Auto setzt

Was in der Schweiz geht, muss in der Bundesrepublik indes noch lange nicht gehen. Hier will Bundesverkehrsminister Wissing, vormals FDP und bisher von der Ampel damit beauftragt, mit Milliarden das Autobahnnetz weiter ausbauen. In seiner Amtszeit hat Wissing jährlich etwa 750 Millionen Euro für die faktisch notwendigen Sanierungsarbeiten an Brücken, Kreuzen und anderer Autobahninfrastruktur ausgegeben, allerdings seit 2020 lediglich 19 Kilometer neuer Autobahn ans Netz gebracht. Deutet sich hier zaghaft eine Wende in der Verkehrspolitik an? Ist auch Wissing klar geworden, dass es kein Straßenausbau je schaffen kann, das Fernstraßennetz so auszubauen, dass es ohne Lücken und Staus funktionieren würde?

Ein solches immer weiterwachsendes Netz ist weder machbar noch aus den öffentlichen Haushalten finanzierbar. Aber CDU/SPD/FDP verschweigen das, gefesselt von ihrer Angst vor populistisch aufgeputschten Autofahrern. Sie verweisen lieber auf die im Rahmen des jetzt geltenden Bundesverkehrswegeplanes 2030 vorgesehenen Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen in Höhe von 78 Milliarden Euro. Dass die je umgesetzt werden, ist eher unwahrscheinlich. Fakt ist: In der Bundesrepublik gibt es jenseits dieser nur verbal großspurigen Straßenausbaupolitik keine ernst zu nehmende Mobilitätspolitik, die nicht aufs Auto setzt.

Die Tage des Autos als zentralem Parameter jeder Mobilitätspolitik sind indes gezählt. Das Zulassungsende für Verbrennungsmotoren 2035 und der Rückbau der Autofabriken für Verbrenner mit dem Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen sind Dinge, mit denen man politisch umgehen muss statt sie zu leugnen. Stand jetzt gibt es aber keine darauf strategisch reagierende Politik des Ausbaus von straßen- und schienengebundenen öffentlichen Verkehrsmitteln im Nah- und Fernverkehr, den Umbau von Innenstädten für Fahrradfahrer und Fußgänger, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen (120 bis 130 Stundenkilometer) und in den Städten (durchgehend 30 Stundenkilometer), sowie eine verbindliche Planung des Rückbaus, etwa eine sinkende Obergrenze für die Erhaltung von KFZ-Infrastruktur-Dienstleistungen des Staates.

Es ist nicht davon auszugehen, dass irgendeine Partei im bevorstehenden Bundestagswahlkampf diese heiße Eisen anpackt. Anders als in der Schweiz gibt es hier auch keine Fortschrittsallianzen aus Frauen, Niedrigverdienern und Leuten vom Land, die die Parteien zu konzeptuellem Zukunftsdenken drängen würden, über das ewig weiter fahrende Auto und den Straßenausbau hinaus. So gesehen wären auch die Grünen schön blöd, wenn sie annähmen, sie könnten in dieser eklatanten Politiklücke in den nächsten zwei Monaten Zustimmung generieren. Mit der zukunftsorientierten Forderung nach einem Benzinpreis von 5 Mark pro Liter sind sie 1998 schon einmal grandios von Autofahrern und ihrer Lobby zurückgeworfen worden.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.