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„Der sozialistische Gang“

■ Gedenk–Veranstaltung für Wolf Biermann in Ost–Berlin / Vor 10 Jahren ausgebürgert / DDR hat Identifikationsperson verloren

Lisette Kranzbühler

Ost–Berlin (taz) -“...in dieser durchgerissnen Stadt - die hab ich satt!“ Eine wohlbekannt kieksende und grunzende Stimme röhrt durch den Raum. In die Musik mischt sich das Lebensgeräusch der besungenen Stadt, quietschende Straßenbahnen, vorbeifahrende Autos. Doch die Geräusche sind nur scheinbar gegenwärtig, sie sind Versatzstücke auf der Schallplatte „Chausseestraße“, die Wolf Biermann Anfang der 70er Jahre aufgenommen hat. Dann singt Biermann, der alte Biermann, die Legende von Paul Kunkel und dem „sozialistischen Gang“, und die Legende von Wolf Biermann, die auch ihren sozialistischen Gang genommen hat, breitet sich in dem Versammlungsraum der Ost–Berliner Kirchengemeinde zwischen Mistelzweigen und Weihnachtsstern aus. 50 junge Leute, Anfang bis Mitte zwanzig, sind der Einladung unter dem harmlosen Titel „ten years after“ gefolgt, um sich daran erinnern zu lassen, wer dieser Wolf Biermann war. Die meisten von ihnen waren noch halbe Kinder, als er vor zehn Jahren ausgebürgert wurde. „Ich weiß noch, zuerst ging das Gerücht rum, der Biermann wäre geflüchtet und hätte dabei zwei Grenzer erschossen“ - „Ich habe von Biermann zum ersten Mal gehört, als die große Hetzkampagne gegen ihn losging. Als die uns dann in der Schule damit vollgequatscht haben, was der für einen üblen Charakter hat, da habe ich eigentlich erst richtig angefangen, mich für ihn zu interessieren“. Geschichten von „Damals“ Die beiden etwa 35jährigen Veranstalter tragen ihre eigenen Erinnerungen an die Zeit bei: die Treffen in Biermanns Landhaus und in seiner Wohnung in der Chausseestraße, die in Jugendclubs kursierenden Biermann– Platten und -Cassetten, dann wieder der erste (und gleichzeitig letzte) größere Auftritt in der Kirche von Prenzlau im November 76. Zu diesem Zeitpunkt hatte Biermann schon die Einladung der IG Metall, in Köln aufzutreten. Er war unsicher, ob er es riskieren sollte, hinzufahren, und diskutierte mit seinen Freunden darüber. Nach dem Kölner Auftritt die ersten Meldungen im „Neuen Deutschland“, daß Biermann nicht mehr zurückkehren darf. Die gesamte Künstler–Szene spaltete sich auf in die, die Loyalitätserklärungen für den Staat und gegen Biermann unterzeichneten, und jene 150, die einen Protestbrief gegen seine Ausbürgerung unterzeichneten. „Christa Wolf, Jurek Becker, Sarah Kirsch, Günter Kunerk, Stefan Hermlin, Stefan Heym, Heiner Müller...“ - Als die Namen der Erst–Unterzeichner vorgelesen werden, müssen viele der Anwesenden unwillkürlich lächeln: die meisten sind inzwischen selbst in den Westen verschwunden. Einer der Veranstalter erzählt, wie hektisch die Szene und auch die Staatsorgane damals waren: „Zwei Freunde von mir sind mit einem Umzugshandkarren durch die Straße gefahren, auf dem stand hinten so oder so - die Erde wird rot - nichts weiter. Dafür haben sie drei Monate im Knast gesessen. „Küßt mich!“ Biermann wußte, was für ein Problem die Behörden sich schaffen, wenn sie ihn zum Opfer machen. Vor seiner Ausbürgerung hatte er triumphierend gesungen: „sperrt mich ruhig ein, das macht mich populär, wenn ihr mich wirklich schaffen wollt, dann küßt mich, liebt mich!“ Man hat ihn nicht geküßt sondern in den „freien Westen“ abgeschoben und durch die gesamtdeutsche Anstrengung - vom Osten ausgeschlossen und vom Westen als DDR– Volksheld vermarktet - für die DDR– Bewegung schließlich doch politisch getötet. Als die Zuhörer danach gefragt werden, was Biermann heute für sie bedeutet, herrscht lange Schweigen. „Wir haben heute niemanden mehr, wie ihr damals, mit dem man sich so identifizieren könnte.“ Dieses „Damals“ wird im Licht der alten Biermann–Lieder und der Geschichten zu einer Zeit des großen geistigen Aufbruchs überhöht, gegen die den jungen Zuhörern ihre eigenen Aktivitäten mickrig und halbherzig vorkommen. „Überall ist eine unglaubliche intellektuelle Verflachung“ - „Wer die rote Soße nicht mitmachen will, der richtet sich eben irgendwie ein, mit ner Schrankwand oder auf dem Land oder auch in seiner Gruppe im Kirchenkreis“ Auch die Schriftsteller flüchten sich, so meinen die Teilnehmer, inzwischen in schützende Unverständlichkeit. „Die Christa Wolf versteht doch kein Schwein!“ - Wirklich nicht? „Die Botschaft von Kassandra ist doch gerade, daß die Masse nur ans Einrichten denkt. Das verstehen die Leute nicht, weil sies nicht verstehen wollen, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben.“ Aber was kann man denn noch tun? Der „Marsch durch die Institutionen“, d.h. durch die Partei, ist schon vor langer Zeit gescheitert, der offene Protest erstickt, die Empörung dagegen versikkert. Das Schweigen im Raum wird bedrückend - der richtige Zeitpunkt für die „große Ermutigung“: „Du, laß dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das wolln sie doch bezwekken, daß wir die Waffen strecken noch vor dem großen Streit!“

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