: „Der letzte große Konservative ist der letzte Rebell“
Jan Ross hat eine packende Heldengeschichte von Johannes Paul II. geschrieben. Wer einer ordentlichen Portion Pathos nicht abgeneigt ist, dem wird dieses Buch gefallen
Was für ein Leben hat dieser Karol Wojtyla! Die Mutter früh gestorben, vom Vater erzogen, erst leidenschaftlicher Sportler, dann Dichter und Schauspieler. Er wird zum Gegner von Nazis, Kommunisten, Kapitalisten und steigt letztlich auf zum Oberhaupt der katholischen Kirche.
Der Zeit-Redakteur Jan Ross hat über den polnischen Papst Johannes Paul II. ein faszinierendes Buch verfasst. Und klugerweise macht er erst gar keinen Hehl aus dem, was ohnehin nicht zu verbergen wäre: Ross ist von diesem Mann „beeindruckt“. Geradezu sinnlich-katholisch malt der Protestant Ross seine Heldengeschichte, packend zu verfolgen für alle, die ordentlichem Pathos nicht abgeneigt sind. Gleich im ersten Kapitel mit dem Titel „Größe“ haut der 35-jährige Zeit-Redakteur ordentlich auf die Pauke. Er entwirft ein Bild des großen Kämpfers Johannes Paul: Siegreich in der Schlacht gegen den real existierenden Sozialismus, angeschlagen in der Auseinandersetzung mit einem ausufernden Kapitalismus, gescheitert im Kampf gegen die moderne Welt: „Der letzte große Konservative ist zugleich der letzte große Rebell gegen die herrschenden Verhältnisse“, schreibt Ross – und zitiert mit offensichtlichem Wohlwollen ein Diktum von Timothy Garton Ash, dem Chronisten des Endes des Ostblocks: „Ich möchte schlicht und einfach behaupten, dass Papst Johannes Paul II. der größte unter den führenden Männern unserer Zeit ist.“
Man genießt die Lektüre noch mehr, wenn man akzeptiert: In gewisser Weise ist dies ein Jungenbuch. Es geht um Gute und Böse, um Gefahr und Kampf und Sieg. Frauen kommen, passend zum Sujet, nur am Rande vor. Und oft spürt man die geradezu bübische Freude des Autors, wenn er all denen einen Streich spielen kann, die den Papst in ihre Schubladen eingeordnet haben: Ross erklärt den Linken, dass der Pole nicht ihr Feind sei, und den Rechten, dass er nicht zu ihren Freunden gehört. Der Papst sei eben konservativ und rebellisch zugleich: Johannes Paul, der letzte große Unangepasste. Das Fundament des päpstlichen Eigensinns sieht Ross in zwei Grundprinzipien, die sich seiner Analyse zufolge wie ein roter Faden durch das Denken, Werk und Handeln des Karol Wojtyla ziehen: 1. Die Würde des Menschen, begründet in seiner Gottes-Ebenbildlichkeit, hat höchste Priorität. 2. Das Leben des Menschen als imago dei ist zu schützen – von der Befruchtung im Mutterleib bis zum Sterbebett. Diese Prinzipien erklären, warum Karol Woytila in seinen Positionen und Taten die Kategorien von links und rechts, progressiv und reaktionär sprengt: Der Pole musste sowohl ein entschiedener Kämpfer gegen den Kommunismus sein, da dieser den Menschen nicht als göttliches Geschöpf mit religösem Bedürfnis begreift, wie auch der letzte bedeutende Kritiker des entfesselten Kapitalismus, da jener den Menschen zum homo oeconomicus reduziert.
Der Mensch als Krone der Schöpfung muss geschützt werden – auch vor sich selbst. Aus diesem „radikalen Einsatz für den Schutz des Lebens“ erschließt sich für Ross, warum Johannes Paul II. so vehement gegen Abtreibung, Krieg und Todesstrafe eintritt.
Es gehört zu den Stärken des Buchs, dass es diese Positionen einleuchtend aus Herkunft und Werdegang des Papstes erklärt. Ross ist fasziniert von der Schlüssigkeit und Radikalität dieses Lebensschutz-Konzeptes. Sie sei „eine Oase der Konsequenz in einer Wüste der Heuchelei“. In vielen Passagen liest sich die Schrift wie eine Verteidigung des Papstes gegenüber seinen liberalen und linken Kritikern.
Es macht allerdings die Schwächen des Buches aus, dass Ross dabei oft über das Ziel hinausschießt. Der Katholizismus der Alten Welt wird an vielen Stellen ebenso abgekanzelt wie die Theologie der Befreiung: „Ganze Fakultäten und Katholikentage“, so schreibt Ross über die Theologie der „Kirche der Armen“, „erhofften sich von ihr die Erlösung von einem vergreisten, verfetteten und verbonzten bürgerlichen Christentum.“ Die evangelische Kirche wird gar als „Funktionärsgewimmel irgendwelcher protestantischer Synoden“ denunziert. An anderer Stelle wird Ross’ Polemik mehr als ärgerlich: So diskreditiert der Autor die Schwangerenkonfliktberatung der katholischen Kirche, da in dieser „gewiss weniger urchristliches Feuer brennt als in dem vermeintlich erstarrten, lebensfernen Papst“. Die Mehrheit der Bischöfe und Laien wollte aber gerade deshalb im staatlichen System der Beratung bleiben, weil sie mit guten Gründen davon ausging, dass dadurch mehr werdendes Leben geschützt werden könnte als durch die reine Lebensschutzlehre des Papstes.
Derartige Zuspitzungen legen den Verdacht nahe, der Autor habe sich zeitweise von seiner Faszination durch den Helden seines Buches forttragen lassen. Oder: Die größten Eiferer sind nicht selten die Konvertiten – und die besten Katholiken in der Wolle gefärbte Protestanten.
Dennoch: Das Buch von Jan Ross über den Papst bleibt eine aufregende und lohnende Lektüre. Auch wenn vielleicht bald wieder weißer Rauch über dem Vatikan aufsteigen dürfte: Dieser Papst wird seine Kirche noch lange prägen. PHILIPP GESSLER
Jan Ross: „Der Papst. Johannes Paul II.Drama und Geheimnis.“ 219 Seiten,Alexander Fest Verlag, Berlin 2000,36 DM
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