: Der letzte Tango in Bremen
■ Im Theater am Leibnizplatz wurde Tango gespielt, getanzt, gesungen und parodiert
Der „Schlampenschwof“ war für Jorge Luis Borges „früher eine orgiastische Teufelei, heute ist er eine Art zu schreiten. Musikalisch dürfte der Tango unbedeutend sein; seine einzige Bedeutung ist die, welche wir ihm verleihen.“ Dieses herbe Urteil ist durch moderne Interpreten des Tangos wie Astor Piazzolla oder Juan Jose Mosalini natürlich längst widerlegt, und auch bei der DACAPO — Veranstaltung „Una noche de tango argentino“ bewiesen der Bandoneonspieler Martino Rivero, der Sänger Raul Montero und der deutsche Jazz- Gitarrist Toto Blanke (der als einziger kein waschechter Argentinier war), wie man den Tango klug, lebendig und um die gängigen Klischees herum spielen kann.
Borges hat recht mit dem Hinweis, daß Tango viel mehr ist als ein Musikstil oder ein Tanz. Der Parodist Hector Malamud brachte all die Assoziationen und Verheißungen von schwüler Leidenschaft, Machismo und Erotik in seinem boshaften Monolog auf den Punkt. Bei ihm ist Tango ein Gemütszustand, der schnell ins Lächerliche kippt: Die Argentinier übertreiben halt bei allem. Mit ihrer Fussballbegeisterung und der Inflation, bei den Militärputschen und auch beim Lieben, Leiden, Tanzen oder Angeben. All das zusammen ist der Tango. Natürlich übertrieb auch Hector Malamud seine Demontage des Machismo. Er zog einige Pointen arg in die Länge, wiederholte sich und zappelte ein wenig zu lange in seinem Schlafanzug auf der Bühne herum.
Wie genau sein Spott dennoch traf, merkte man aber erst beim nachfolgenden Auftritt des Sängers Martino Rivero, der ganz ernst auf die Bühne schritt und gerade mit seinem Pathos einige Lacher auslöste. Touché! Die Tänzer Maria Florencia Taccetti und Orlando Coco Diaz waren dagegen geschickt genug, zuerst den Tango zu persiflieren, und die komplizierten Schrittfolgen so zu übertreiben, daß man oft nicht wußte, ob man über ihre Akrobatik staunen, oder über die Absurdität lachen sollte.
Erst bei ihrem zweiten Auftritt tanzten sie dann den Tango so verrucht und leidenschaftlich, wie es im Buche steht. Bei den letzen Stücken zelebrierten dann alle sechs Künstler zusammen auf der Bühne den Tango und dabei verschmolzen Musik, Stil, Tanz und Sentimentalität zu einer faszinierenden Einheit. Als sich Hector Malmud für die letzte Zugabe, den „Ultimo Tango“, eine Tanzpartnerin aus dem Publikum herausfischte, war das begeisterte Bremer Publikum kurz davor, tanzend die Bühne zu stürmen. Aber statt dessen ging es nur hinaus in die eisige Nacht. Und die gehörte eher dem Blues als dem Tango.
Willy Taub
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