: Der lange Treck nach Norden
■ Überraschend und friedlich: Bauwagen räumen Bahrenfelder See / Neuer Standort im Stadtpark als Dauer-Domizil? Von Heike Haarhoff
In aller Frühe hat die Altonaer Bauwagen-Gruppe „The Borribles“ am Sonntag ihren Platz am Bahrenfelder See geräumt und einen neuen Standort im Stadtpark bezogen. Mitten im Hanse-Marathon und den Vorbereitungen für den 1. Mai wurden Hamburgs PolitikerInnen vor vollendete Tatsachen gestellt: Die Bauwagen-Leute zwischen 17 und 63 Jahren sind es leid, darauf zu warten, daß ihnen ein dauerhafter Stellplatz zugewiesen wird. Um die Entscheidung der Bezirke zu beschleunigen, gingen sie selbst auf Wohnortsuche. Ihr Umzug verlief wider Erwarten friedlich: Polizei und PolitikerInnen bezeichneten den Treck gen Norden zwar als „völlig überraschend“, behinderten ihn aber nicht.
Pünktlich um kurz nach sieben brach der Konvoi – 15 Menschen, sechs von Treckern gezogene Bauwagen, ein paar Fahrräder und ein Hund – auf. Sein Ziel, eine Wiese gegenüber dem Planetarium im Stadtpark, erreichte er zwei Stunden später. Drei weitere Wagen trudelten am Nachmittag ein.
Die Bauwagen-Leute reagierten damit auf den Beschluß der Bezirksversammlung Altona vom vergangenen Donnerstag, das Landschaftsschutzgebiet am Bahrenfelder See zu renaturieren, sobald die Gruppe ihr dortiges Lager abgebaut hat. Nicht alle entschieden sich für den Stadtpark, einige wollen noch in dieser Woche auf den Platz am Hellgrundweg ziehen. „Wir verlassen den Platz, bevor wir geräumt werden“, erklärten die „Borribles“. Im Sommer '94 war der See als Übergangslösung vereinbart worden.
Ganz ohne Querelen ging der Umzug dann aber doch nicht ab: Am Samstag wurden Umzugstermin und -ort – bisher nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählt – gegen den Willen der Bauwagen-Gruppe durch einen Zeitungsartikel öffentlich. „Ich hatte das als Hintergrundinformation weitergegeben“, erklärte der Altonaer GALier Martin Below den angesäuerten Bauwagen-Leuten am Samstag sein Plaudern. „Das durchkreuzt unsere Pläne“, ärgerte sich der 19jährige Elvis. Die „Borribles“ wollten ihr auserkorenes Domizil im Stadtpark möglichst unbemerkt beziehen, um Komplikationen zu vermeiden und den Bezirk Nord unter Zugzwang zu setzen: „Sobald wir die Grenze von Altona passiert haben, wird uns ein Räumungstitel verbieten, an den See zurückzukehren“, argumentierte Elvis. Somit sei der Bezirk Nord für die Bleibe der Bauwagen-Leute zuständig. Am 11. Januar hatte der Bezirk beschlossen, das Wohnen in Bauwagen in seinen Grenzen zu tolerieren. „Umgesetzt wurde der Beschluß jedoch nicht“, kritisierte Below. „Er ist auch gar nicht als Einladung aufzufassen“, konterte gestern Harald Rösler, stellvertretender Bezirksamtsleiter in Nord.
„Wir waren sehr überrascht, auf diese Weise von dem Umzug zu erfahren“, sagten Ingo Ambs und Rainer Neumann von der GAL-Nord, die sich am Samstag ebenfalls am Bahrenfelder See eingefunden hatten. Offiziell unterstützt der Kreisverband die Forderung der „Borribles“ nach einem dauerhaften Platz. Der Bezirk Nord solle keine rechtlichen Schritte gegen die Bauwagen unternehmen.
Die ersten beiden Tage in der neuen Umgebung verliefen relativ ruhig. Zwei Polizisten erklärten am Sonntag zwar, sie hätten mit dem Besuch erst am 1. Mai gerechnet, widmeten ihren Einsatz danach aber wieder ganz dem Schutz der LangstreckenläuferInnen. Auch ein Vertreter des Bezirks ließ sich blicken, um schon mal anzukündigen, daß über die Sache „noch gesprochen werden müsse.“ Kooperativ zeigte sich der Leiter des benachbarten Luftbads, Hans-Dieter Alesch: „Ich denke, wir können gut miteinander auskommen“, mahnte er die neuen AnwohnerInnen, die Ruhe seiner Gäste nicht zu stören. Praktische Hilfe leistete das Gartenbauamt mit einem Müllcontainer. Jetzt fehlen noch Strom und Wasser. „Kein Problem“, sagte Frank von den „Borribles“, „die stillgelegten Leitungen müssen nur in Ordnung gebracht werden.“
Auf dem städtischen Gelände sollte ursprünglich ein Containerdorf für Flüchtlinge entstehen. Verworfen wurde dieser Plan per Bezirks-Beschluß dann aber wegen drohender „sozialer Isolation“. Die bekamen die „Borribles“ gleich zu spüren: „Hier gibt's weit und breit keine Tankstelle mit frischen Brötchen wie in Bahrenfeld“, monierte eine Frau die langen Wege bis zum nächsten Geschäft.
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