: Der lange Marsch durch die Unterhosen
■ Sind Westmänner wirklich von Natur aus schöner/ Eine Ost-West-Betrachtung in Sachen postfeministischer Sexismus
Es begann unterm Christbaum. Irgendwann Anfang der 70er lagen sie plötzlich auf dem Gabentisch oder obenauf im Wäschefach. Gestreift, geblümt, auf jeden Fall aber gräußlich farbig und bedruckt.Der klassische Eingriff war zwar noch an Ort und Stelle, aber mit bunten Borten stark akzentuiert. Bisweilen passend zum ebenfalls farbigen, buchstäblich einschneidenden Gummizug.
Die Pionierinnen
Schuld an der Novität waren durchweg Ehefrauen und Mütter, die Mann und Männlichkeit rigoros in die poppigen Unterhosen zwängten und dabei etwas von »modern« oder gar »poppig« daherfaselten. Und mann hatte keine Chance, weil mann in Sachen Textilbeschaffung hoffnungslos auf die Frauen angewiesen war. Mann blickte noch einmal sehnsüchtig auf die liebgewordenen schlabbrigen Feinrippunterhosen mit Beinchen — und stieg mit Todesverachtung in den bedruckten Slip. Die Frauen freuten sich ob der neuen Männer, aber diese schämten sich fortan im Schwimmbad und im Sportverein — und fühlten sich, als müßten sie zwangsweise in einem Travestieensemble mittänzeln. Kurze Zeit noch boten liebe, aber hoffnungslos zeitgeistlose Omis Rettung in der Not. Doch binnen weniger Jahre wurden auch die Großmütter vom Bazillus erfaßt und schleppten — je oller, je doller — kleinteilig Bedrucktes in lila, giftgrün und knallrot an.
Der ganze Mann wird umgemodelt
Mann fügte sich, und die Frauen trieben's immer bunter: Als nächstes waren die Oberhemden dran. Der erste Politiker im TV dozierte plötzlich im »Schießer« mit zarten Streifchen. Die Showmaster hängten reihenweise die dunklen Anzüge weg. Der Regierungsrat wurde feierabends in die Cordhose gesteckt, gestandene Mitfünfziger in knallgelben Nickis zum Rasenmähen verdonnert. Für unförmig Kratzendes in abenteuerlichsten Farbvielklängen sorgte zudem noch (groß-)mütter-, schwester- und ehefraulicher Strickwahn. Und als letzte Bastion der Solidarität starben nach und nach jene würdigen alten Herren im Tiefschwarzen mit Brusttuch aus, die seit Menschengedenken, nur mit einem Maßband bewaffnet, in düsteren Herrenaustattungsabteilungen für gleichbleibende Männlichkeit gesorgt hatten (»reine Schurwolle, da haben Sie in zwanzig Jahren noch Freude dran«). Frauen drängten in ihre Positionen. Loriots (West-)Deutschland war tot. Aber noch immer kauften Frauen bei Frauen für wehrlose Männer.
Die Machtposition der Frauen wurde vom Kapitalismus mit Milliardenaufwand gekappt. An der Unterhosenfront wurde zunächst der Eingriff eingespart, das Kleingedruckte durch Unitöne verdrängt, Getiegertes, Extraknappes, Seidenweiches, Tangas, schließlich Boxershorts und winzigste Jock-straps (Hintern bloß) produzierten auf Hochglanzwerbung eine unüberschaubare Vielfalt. Knackige Boys sorgten für männlichen Konkurrenzstreß und zunehmender Wohlstand für die nötige Kohle. Die Unterhose wurde zum Männerthema, mann selbst prüfte ängstlich Sitz und plastische Proportionierung der wichtigsten Körperteile. Kurze Irritation herrschte allenfals als Mode- Enfant-terrible Gaultier plötzlich den totalen Unterhosenbann aussprach. Doch dessen Diktat wurde von Dermatologen massiv verworfen. Und von den Männern selbst spätestens dann, nachdem sie ein eingeklemmtes, weil ungeschütztes Zipfelchen Vorhaut mit zusammengebissenen Zähnen blutend aus einem Jeansreißverschluß befreit hatten. Auf jeden Fall: Mann suchte nun selbst aus.
Und mann wurde eitel: Wie kommt mein Hintern, wie krieg' ich den Pickel weg, wächst der Bauch? Dauerwelle, Strähnchen — oder bloß Tönen? Armani oder St.Laurent? Soll ich im Solarium die Kitzbühl- Bräune bis zum Märzurlaub auf Gran Canaria hinüberretten? — Solche Fragen wurden in den 80ern stammtischfähig. Sportcremes, Bodyfluids, Haarlacks, Colognes, Wet Gels, Pre Shaves sorgten für Einsturzgefahr auf nun viel zu kleinen Badezimmerregalen. Fitneßstudios schossen wie Pilze aus dem Boden. 'Brigitte‘ und 'Freundin‘ wurden selbstbewußt und offen um Rat gefragt, Kaufhäuser mußten ihre Geschoßaufteilung völlig neu überdenken. Und überall drohte der (fast nackte) Mann: an den Wänden der Bahnhöfe, an Litfaßsäulen, im 'Kicker‘, im 'Playboy‘ (!) und im 'Manager-Magazin‘, im Fernsehen — und in der eigenen Umgebung. Konkurrenzängste, Outfit- Streß und eine völlig neue Variante von Opa Freuds Penisneid peinigten die Männer und trieben sie zu immer neuen modischen Höchstleistungen an. Fassungslose Schwule, jahrhundertelang einsame Avantgarde in Sachen männlicher Schönheitswille, zogen sich ob der neuen Pfauen, zu Tode geschockt, in ihre Subkulturen zurück. Und schließlich nahm man gar einem völlig unerotischen pfälzischen Ministerpräsidenten Krankenkassenbrille und Hochwasseranzüge weg, schminkte und bräunte ihn und machte ihn zum strahlend geschönten Kanzler. Vor den Spiegeln der Kneipenmännerklos bildeten sich Schlangen ...
Und dann ging die Mauer auf. Und kaum daß die ersten Tränen der nationalen Rührung getrocknet waren, blickte sich das einig Volk auf Haartracht, Hintern und Haut. Frauenintern waren allenfalls kapitale Kapitalunterschiede auszumachen, männerintern verglichen zunächst die Schwulen — dann die Frauen. Und der Vergleich fiel vielerorts niederschmetternd aus — für die Ostmänner. Selbstbewußte Ostfrauen und hemmungslose Postfeministinnen im Westen fällten zunehmend und gnadenlos sexistisch ihr Urteil: »Der Westmann ist schöner.« Bis hinein in rassistisch völlig unverdächtige linke Gettos, ja sogar in die Flure linksalternativer Tageszeitungen reichte das Getuschel. Und immer wieder wurde taxiert: die kleinen Rettungsringe überm Hosenbund, die Mitesser, die Stiefeletten über den Einheitsjeans, (Lang-) Haarschnitte, Sonnenbräune. Und nicht einmal vor den Helden von Leipzig wurde respektvoll haltgemacht. Ganz zu schweigen von den stolzen biblischen Vollbärten der regierenden Pfarrer. Ganz was anderes sind da doch die Dreitagebärte der coolen Westler, sorgfältigst erzeugt mit eigens dafür entwickelten HighTech-Rasierern ... Rassismus/Sexismus at its best, machte sich breit. Aber immer hinter nur vorgehaltener Hand.
Warum hört (noch) keiner auf Haussmann?
Skrupellos nutzen dies gnadenlos marktwirtschaftliche Westmänner in den nächtlichen Aufreißbörsen in Diskos und Bars aus. Wie ermahnte doch der unermüdliche Wirtschaftsminister Haussmann das gläubige Ostvolk: Nur wer was tut, kann im knallharten Konkurrenzkampf bestehen. Doch der Krake Kapitalismus greift längst nach den gesamtdeutschen Fleischmärkten. Und ihre Handlangerin wird erst mal das (Ost-)Weib ... Thomas Kuppinger
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