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Der konstruktive Wahnsinn

■ Die letzten SiedlerInnen vom Weidedamm suchen nach Verhandlungswegen mit der Stadt: ein neuer Verein ist da – und ein neuer Zaun

Da kann er trommeln, so laut er will. Gegen den Sound der riesigen Ramme, die auf dem Nachbargrundstück den Boden plattstampft, kommt Martin Stephan nicht an. Der Musiker hat sich an den Wettstreit gewöhnt. Stephan gehört zu den rund 200 Leuten, die noch im Parzellengebiet am Weidedamm leben. Seit ein Großteil der Alternativgemeinde nach Lesum umgesiedelt wurde, haben sich die Bagger und Baucontainer breitgemacht und das Grünland planiert. Ab Oktober ist der Rest des Geländes dran – und damit Stephan und die übrigen WeidedammlerInnen. Schon spricht die Gewoba, ausführendes Organ der städtischen Neubauplanung, von einem „heißen Herbst“, der dann zu erwarten stehe. Auf dem Weidedamm sieht man das anders: Am Wochenende hat sich ein neuer Verein gegründet, der sich als Ansprechpartner für die Stadt anbietet. Man sei bereit, das Feld „friedlich zu verlassen“ – jetzt aber sei die Stadt an der Reihe, auf den Verein zuzugehen.

Das bereite den Leuten vom Weidedamm schon „Oberprobleme“, so eine konventionelle Vereinsform anzunehmen, sagt Stephan. Aber man wolle der Stadt signalisieren, „daß wir es seriös meinen“. Erste Amtshandlung des „Vereins für konstruktiven Wahnsinn, einfach leben, leben lassen“ (Kwell e.V.): ein offener Brief an den neuen Bausenator Bernt Schulte. Der wird aufgefordert, „uns geeignete Flächen und Räumlichkeiten in den stadtnahen Gebieten Bremens zu benennen“. Andernfalls müßten die SiedlerInnen am Köhlersweg & umzu „buchstäblich auf der Straße leben“, was für die Stadt „untragbare Verhältnisse mit sich bringen würde“.

An die Seriosität des Vereins mag Gewoba-Geschäftsführer Klaus Stadler allerdings noch nicht so recht glauben: „Ich glaube, daß das nur eine taktische Äußerung ist.“ Mit den Leuten von der BI „Grüner Weidedamm“ habe man sich ja gütlich geeinigt. Nun plötzlich ein neuer Verein? Dessen Status müsse doch erstmal „nachgewiesen werden“. Nach weiteren Ersatzorten für die SiedlerInnen jedenfalls suche die Gewoba derzeit nicht. Dazu müsse der Bausenator erstmal eine Anweisung geben.

Die kann er haben. Den neuen Brief vom Weidedamm habe der Senator, „er ist doch erst seit zwei Tagen im Amt“, zwar noch nicht gewürdigt, heißt es im neuen Ressort für Bau und Stadtentwicklung. Aber: „Jede Initiative wird ernstgenmommen“, sagt Pressesprecher Rainer Imholze; „natürlich gibt es eine prinzipielle Gesprächsbereitschaft.“

Derweil baggern die Bagger weiter, und bei „Kwell e.V.“ wartet man auf den Anruf des Senators. Aber nicht untätig. Durch den Vereinsstatus, sagt Martin Stephan, habe man endlich das Recht auf Einsicht in die Akten des städtischen Katasteramtes. Darüber versuchten einige Gruppen, ein alternatives Fleckchen für ihre Wohn- und Bauwagen zu finden. Einen gleichwertigen Ersatz zu bekommen, einen Platz für alle – diese Illusion haben sich die SiedlerInnen allerdings abgeschminkt. Auf dem Weidedamm lebten ja immer schon individualistische Gruppen nebeneinander. Der Verein wolle „auch auf gar keinen Fall für alle sprechen“ – ein „Fehler, den die alte BI gemacht hat; das wollen wir nicht wiederholen“.

Daß bis Oktober Ersatz gefunden sein muß und keinen Monat länger, bekräftigt auch die Gewoba. Ein kilometerlanger Zaun sichert jetzt das Gelände und den zügigen Fortgang der Bauarbeiten. Zwei gut bewachte Tore dienen als Einlaß in das vormalige Parzellengelände. Die wenigen SiedlerInnen, die innerhalb des Zauns geduldet werden, benötigen einen Passierschein; „am besten“, sagen die Torwächter, „Sie kommen nur nach Voranmeldung, telefonisch“. Eine Sicherheitsmaßnahme „zum Schutz unserer Bauleute“, sagt Gewoba-Chef Stadler. Aber wohl auch eine Maßnahme, um die Gebietsansprüche unmißverständlich zu markieren. Denn die Sicherheitsleute wissen von neuen Übergriffen nichts: „In letzter Zeit war alles ziemlich friedlich.“ tw

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